Bewusst entscheiden – für Kinder und Entwicklung
Sechs Kinder pro Familie – das ist ganz gewöhnlich in vielen ländlichen Gebieten Äthiopiens. Viele Familien haben Mühe, alle satt zu bekommen. Armut und Mangelernährung prägen das Leben. Doch im Dorf Bukisa im Distrikt Abaya ändert sich etwas. Ungewollte Schwangerschaften sind dort kein Schicksal mehr.
Abezu Tilahun – «Peer Educator» für Familienplanung
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«Am Anfang misstrauten mir viele Leute. Es kam vor, dass ich bei Hausbesuchen beschimpft wurde: "Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten!", hiess es. Aber mit der Zeit wurde ich respektiert. Rund 100 Frauen haben nach meiner Beratung mit Familienplanung begonnen.»
Wenn Abezu Tilahun von Haus zu Haus geht, stösst sie nicht nur auf offene Arme. Manchmal trifft sie auf Wut. «Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten!», rufen die Bewohner und weisen ihr die Tür. Aber Abezu macht weiter. Woche für Woche klopft sie an und redet mit den Frauen und ihren Ehemännern.
Als «Peer Educator» berät Abezu Tilahun in ihrer Gemeinde zu Familienplanung. Sie erklärt, warum Abstände zwischen Geburten wichtig sind, welche Verhütungsmethoden es gibt und wie Familien durch Planung ihre Zukunft verbessern können – eine ehrenamtliche Arbeit, die von Menschen für Menschen initiiert wurde.
Die 26-Jährige lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in einem einfachen Haus mit gestampftem Lehmboden und groben Holzbänken. Sie bewirtschaften einen Hektar Land, bauen Mais, Bohnen und Yamswurzeln an. An Markttagen verdient Abezu mit dem Verkauf ihrer Produkte umgerechnet etwa einen Franken – kaum genug für das Nötigste.

Abezu Tilahun heiratete schon mit 18. «Meine Familie hat mir gesagt: Heirate nicht so früh. Warte noch», erzählt sie. Aber Abezu war sicher. «Ich war so verliebt, ich konnte nicht anders», sagt sie und lächelt. Gezahegn Haile, ihr späterer Mann, fiel ihr in der Kirche auf. «Er war etwas Besonderes. Er half beim Gottesdienst. Er trank nicht. Er wirkte freundlich und lieb.»
Heute hat das Paar zwei leibliche Töchter. Daneben kümmern sich die Eheleute noch um Pflegetochter Bigiltu. Die Zehnjährige ist die Tochter der verstorbenen Schwester von Gezahegn.
Für viele junge Frauen ist der Lebensweg nach einer frühen Ehe in Armut zementiert. «Nach der Heirat kümmern sich viele Frauen nur noch um Kinder und die Landwirtschaft», sagt Abezu. «Ich wollte zeigen, dass man auch nach der Hochzeit lernen und wachsen kann.»
Nach der Geburt ihrer ersten Tochter nahm Abezu den Unterricht wieder auf – mit der Unterstützung ihres Mannes: «Er hat immer gesagt: Auch wenn du heiratest, kannst du mit der Schule weitermachen.» 17 Kilometer entfernt, in der Provinzstadt Yirgacheffe, besucht sie die elfte Klasse. Diese Vorbildfunktion sieht sie auch in ihrer Rolle als Multiplikatorin. Insgesamt zwölf dieser Frauen sind in der Gemeinde aktiv. «Wir gehen dahin, wo Aufklärung sonst nicht ankommt», sagt Abezu.

Steter Tropfen höhlt den Stein: Wenn Frauen überzeugt sind, dass Familienplanung für sie der richtige Weg ist, bitten sie Abezu oft, mit ihnen zur Gesundheitsstation zu gehen, um sich registrieren zu lassen. «Deshalb weiss ich, dass wegen meiner Arbeit rund 100 Haushalte begonnen haben, bewusst über die Grösse ihrer Familie zu entscheiden.»
Ein kleiner Schritt in einem grossen Trend. Noch vor dreissig Jahren brachte eine äthiopische Frau im Schnitt sieben Kinder zur Welt. Heute sind es statistisch noch 4,3. Bis in zehn Jahren, so die Prognosen, wird die Geburtenrate in Äthiopien auf 3,1 Kinder pro Frau fallen – ein Ergebnis von besserer Bildung, insbesondere für Mädchen, und von Aufklärungsprogrammen wie denen von Menschen für Menschen, die auch Älteste und religiöse Würdenträger einbeziehen.
«Lebt weise!»
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«Ich habe acht Kinder. Für mich kommt das Bibelwort zu spät, das ich predige: "Achtet genau darauf, wie ihr lebt. Nicht als unwissende, sondern als weise Menschen!" Ich ermuntere die Gläubigen, dass sie über die Zahl ihrer Kinder bewusst entscheiden. Ich schätze, dass jetzt 60 Prozent der Gemeindemitglieder Familienplanung machen.»
Die Kirche von Pastor Terefe Woticha ist kaum als solche zu erkennen. Kein Turm, keine Orgel, kein Altar. Die Wände bestehen aus einem Gerüst aus Eukalyptusstangen, über die Plastikplanen gespannt sind. Die Gemeinde hockt auf Holzbänken. Der Raum ist fensterlos und schummrig, eine einzelne Glühbirne hängt von der Decke. Vorne am Pult zitiert Pastor Terefe aus dem Epheser-Brief: «Achtet genau darauf, wie ihr lebt – nicht als Unwissende, sondern als Weise!»
Terefe Woticha ist 57 Jahre alt und Vater von acht Kindern. «Für mich kommt das Bibelwort zu spät», sagt er. Früher lebte er vom Verkauf von Honig, Mais und anderen Feldfrüchten. Das Einkommen war genug. Doch die Zeiten änderten sich: «Als alle Kinder zur Schule gingen, musste ich allen Kleidern und Schulsachen kaufen. Das Klima wandelt sich, die Ernten wurden schlechter. Die Preise stiegen. Ich merkte: Es reicht nicht mehr.»
Natürlich seien Kinder ein Geschenk Gottes. «Aber ich sah selbst, dass es nicht reicht, einfach viele Kinder zu haben. Man muss auch für sie sorgen können.» Deshalb predigt er heute für Familienplanung. Sensibilisiert wurde er durch Menschen für Menschen. Die Projektmitarbeitenden sprachen gezielt religiöse Würdenträger an, um das Thema Familienplanung als Verantwortung und nicht als Widerspruch zum Glauben zu verankern.

Der Wandel ist da
Tsehaynish Samuel, 30, sitzt mit ihrem zweieinhalbjährigen Sohn Yonathan auf einer der Bänke. «Früher wusste ich nichts über Familienplanung», sagt sie. «Aber jetzt verhüten bestimmt sechzig, vielleicht sogar achtzig Prozent der Frauen.» Einige Frauen in der Gruppe sind skeptisch über ihre Schätzung. Sie berichten von Vorurteilen gegen moderne Verhütungsmethoden. Aber in einem sind sie sich einig: Es gibt einen Wandel, und dieser geht auf das Engagement des Pastors, die Aufklärungsarbeit des MfM-Projekts und das Vorbild der Nachbarn zurück.

Frauen wollen verhüten – aber können nicht
Tatsächlich ergab eine Evaluation eines unabhängigen Gutachterbüros zum Ende der Massnahmen von Menschen für Menschen im Dezember 2024: Die Quote der Ehepaare im Distrikt, die sich aktiv für Verhütung entschieden haben, stieg binnen drei Jahren von 47 auf 57 Prozent.
In ganz Äthiopien, so offizielle Statistiken, nutzen 41 Prozent der Frauen moderne Verhütungsmethoden. Doch weitere 22 Prozent der Frauen würden gerne verhüten, haben aber keinen Zugang zu passenden Mitteln. Zwar bieten die staatlichen Gesundheitseinrichtungen die Anti-Baby-Pille und Verhütungsspritzen an, die drei Monate lang vor Schwangerschaft schützen – aber oft nur in der Theorie. In der Praxis sind die Präparate häufig nicht vorrätig in den entlegenen Einrichtungen. Vor allem aber mangelt es auch an Informationen, um dem gesellschaftlichen Druck nach grossen Familien zu begegnen.
Deshalb wirkt Menschen für Menschen auch über Spargenossenschaften für Frauen breit in die dörflichen Gemeinschaften hinein: Die Frauen bekommen Schulungen, wie man ein Geschäft führt, aber auch über Kindererziehung und Familienplanung.

«An Geld sparen – und an Kindern»
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«Meine beiden Buben sollen nicht in Armut aufwachsen. In unserer Spargruppe lernen wir, wie wir ein Kleingewerbe beginnen. Wir haben auch eine Schulung zu Familienplanung bekommen. Gott sei Dank! Sonst hätte ich wahrscheinlich schon fünf Kinder.»
In der Spargenossenschaft in Bukisa ist auch Shewaye Lilo Mitglied. Ihr Haus liegt an der Strasse zum Markt, daraus hat sie ihr Geschäftsmodell gemacht: Mit einem Mikrokredit der Spargruppe investierte sie in einen Gastraum, wo sie selbstmachte Limonaden feilbietet. An Markttagen verkauft sie bis zu 100 Liter.
«In der Genossenschaft lerne ich nicht nur, wie man Geld spart, sondern auch an Kindern», sagt sie. «Was ich damit meine: Ohne die Spargruppe hätte ich sicher schon fünf Kinder.» Und nicht genug Mittel, sie zu ernähren. Stattdessen entschied sie sich nach dem zweiten Sohn für ein Hormonimplantat.

Mit 25 Jahren kümmert sie sich nicht nur um ihre Söhne Sabona und Eyasu, sondern auch um Tarikayu, das siebenjährige Mädchen ihrer Schwägerin, die psychisch krank wurde: «Sie gehört zu uns», sagt sie.
Nun plant sie, ihren bereits bestehenden Handel mit Kotcho zu vergrössern, dem wichtigsten Lebensmittel in Abaya, eine Art Brot, das aus der Ensete-Staude gewonnen wird: «Ich kaufe Kotcho in den Dörfern und bringe es in die Stadt Gangua.» Sie hofft, dass auch ihr Mann in das Geschäft einsteigen kann, denn momentan verdient er nur wenig mit der harten Arbeit als Holzhauer: «Wir sind ein gutes Paar und entwickeln uns gemeinsam.»

Multiplikatorin Abezu klopft an Türen. Pastor Terefe predigt. Kleinunternehmerin Shewaye vergrössert ihr Geschäft. Alle arbeiten für Entwicklung – unspektakulär, aber bewusst und wirksam.