«Für uns liegt Addis so nah wie Adliswil»
Verbindungen schaffen zwischen den Spenderinnen und Spendern in der Schweiz und armen Familien in Äthiopien: Das ist ein zentrales Anliegen von Menschen für Menschen, sagt Co-Geschäftsführer Michael Kesselring im Interview für den jüngsten Jahresbericht der Stiftung. Aus der Nähe zu den Unterstützern ergibt sich Transparenz und Vertrauen. Die Nähe zur Projektarbeit in Äthiopien macht die Hilfe effizient und nachhaltig.
Michael Kesselring, 2023 war das zweite Jahr des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Und seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober blickt die Welt auf den Krieg in Gaza. Verliert die Schweizer Öffentlichkeit über diese Krisen Afrika aus dem Blick?
Diesen Eindruck haben wir leider.
Woran machen Sie das fest?
Es wird schwieriger für uns, bei den grossen Medien in der Schweiz durchzudringen. Positive Geschichten über Entwicklungsthemen sind nicht gefragt. Wenn über Äthiopien berichtet wird, dann in negativem Kontext.
Zu Recht? Das Land erlebt Gewalt.
Zum Glück fand Äthiopien im November 2022 endlich zu einem Waffenstillstand im Bürgerkrieg zwischen der Regierung in Addis Abeba und dem Bundesstaat Tigray. Leider flammten im August 2023 in Amhara Kämpfe zwischen einer regionalen Miliz und der nationalen Armee auf. Die Regierung rief den Ausnahmezustand für den Bundesstaat aus, was unsere Projekte dort erschwerte.
Äthiopien ist ein riesiges Land, es ist 27-mal so gross wie die Schweiz. Die allermeisten Menschen leiden nicht unter Waffengewalt, sondern unter übergrosser Armut. Aber sie geben nicht auf, arbeiten mit grossem Lebensmut an ihrer Zukunft. Diese Geschichten wollen wir erzählen.
Aber wie, wenn die grossen Medien kein Interesse haben?
Für unsere Spender geben wir unser «Nagaya Magazin» heraus. Daneben begeistern wir durch Special-Interest- und Fachpublikationen für Menschen für Menschen. Gefreut hat uns 2023 eine besondere Leserschaft. Das Schweizer Kindermagazin «spick» brachte eine Reportage über eine Familie in der Stadt Debre Berhan: Dank unserer Unterstützung haben sich die Eltern eine Existenz als Milchviehhalter aufbauen können. Das «Fundraiser Magazin» lenkte den Blick auf unsere «Online-Events», auf die wir stolz sind, weil sie auf neue Art Verbindung schaffen.
Nämlich?
Wir bieten virtuelle Besuche an, um den Spendern direkte Einblicke zu ermöglichen. Über eine Video-Plattform können sie live mit den Menschen in unseren Projekten sprechen. Eine Spenderin schrieb uns, dass sie das Gefühl hatte, persönlich vor Ort zu sein. Solche Rückmeldungen bestätigen uns, dass wir echte Nähe erreichen können – ein wichtiges Anliegen, denn es gibt manchmal Missverständnisse. Das erfahren wir in unseren Vorträgen, die wir etwa bei Service-Clubs halten. Einige Fragen hören wir dort immer wieder.
Zum Beispiel?
Wir machen viele Projekte, die sich an die wirtschaftliche Entwicklung der Frauen richten. Eine Frage der Zuhörer lautet oft, ob die Frauen die ganze Arbeit machen und die Männer zu wenig tun.
Was ist Ihre Antwort?
In Äthiopien arbeiten rund vier von fünf Menschen in der Landwirtschaft. Wer glaubt, dass die Männer nicht hart arbeiten, soll selbst einmal versuchen, einen von Ochsen gezogenen Hakenpflug in die Erde zu drücken. Aber tatsächlich sind Frauen gesellschaftlich benachteiligt. Deshalb richten wir uns speziell an sie mit Schulungen und Mikrokrediten. Wer Äthiopien entwickeln will, muss vor allem das Potenzial der Frauen entwickeln.
MfM ist ein kleines Hilfswerk. Was sind die Vorteile?
Zunächst ist besonders, dass wir nur in einem einzigen Land tätig sind und das seit vielen Jahren. Durch unsere Erfahrung in Äthiopien können wir viele Fehler vermeiden. Mit unserem Landesrepräsentanten Getachew Zewdu und unserem Projektkoordinator Dr. Martin Grunder haben wir zwei Experten in «Addis», wie die Äthiopier ihre Hauptstadt Addis Abeba nennen. Sie tauschen sich jeden Tag mit den äthiopischen Partnerorganisationen aus, die mit ihren Landwirtschaftsberatern und Sozialarbeiterinnen die Arbeit an der Graswurzel umsetzen. Diese Nähe erlaubt eine besondere Effizienz in der Projektarbeit wie im Fundraising.
Haben Sie Beispiele?
In unserem Projekt in Abaya Gelana haben wir Mais-Saatgut verteilt. Aber durch erratische Regenfälle gab es eine Missernte. Sehr kurzfristig haben wir an die Betroffenen Bohnen-Saaten ausgeben können, die als Ersatz gepflanzt werden konnten. Sie sind schnell erntereif und haben einen hohen Marktwert. So konnten wir für die betroffenen Familien eine Katastrophe abwenden.
Und im Fundraising?
Gerade institutionelle Geber haben Bedarf an genauer Information, was mit ihrem Geld passiert. Dieses Bedürfnis erfüllen wir mit regelmässigen Berichten und mit individueller Betreuung. Gerade wollte ein Geber die technischen Spezifikationen unserer Kochherde wissen. Sie werden aus mehreren Zementelementen zusammengesetzt. Wir geben sie aus, damit die Frauen nicht mehr über offenem Feuer kochen. Sie sind holzsparend und raucharm, schonen die Gesundheit, gerade von Müttern und kleinen Kindern. Binnen Stunden konnten wir die technischen Zeichnungen besorgen: Für uns liegt Addis gefühlt so nah wie Adliswil.