Die Stiftung Menschen für Menschen Schweiz macht es sich zur Aufgabe, auf dem Land wie in den Städten Verelend- ung aufzuhalten und Lebenschancen aufzubauen.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie Sie die Menschen in Äthiopien unterstützen können. Hier finden Sie alle Spendenmöglichkeiten mit konkreten Beispielen.
Wiege der Menschheit, Herkunftsland des Kaffees, reiche Kultur und arme Familien. Über 100 Millionen Menschen leben hier: Auf Besuch in einem widersprüchlichen Land.
Tadeletsch war 15 Jahre alt, als sie überfallen wurde. Das Mädchen war auf dem Heimweg vom Markt, als sich ihr eine Gruppe Männer in den Weg stellte. Einen von ihnen kannte sie: Der junge Mann hatte ihre Eltern besucht und gefragt, ob sie ihm das Mädchen zur Frau geben wollten. Die Eltern lehnten ab. Nun holte er sich Tadeletsch mit Gewalt.
SEINE FREUNDE schleppten Tadeletsch in eine Hütte. Dort vergewaltigte er sie. Damit galt sie der Tradition nach als entehrt – ausser sie heiratete den Vergewaltiger: Die Eltern stimmten nun der Heirat zu. „Zuerst weinte ich und war sehr wütend“, erinnert sich Tadeletsch. „Aber dann akzeptierte ich mein Schicksal als Gottes Wille.“ Bald bekam sie ihren ersten Sohn. Fünf weitere Kinder folgten in kurzen Abständen.
Tadeletsch Gemede kämpft heute dafür, dass anderen Mädchen ihr Schicksal erspart bleibt.
Tadeletsch Gemedes Lebensweg ist in Äthiopien keine Ausnahme. In manchen Landesteilen wie Oromia ist jede zehnte verheiratete junge Frau entführt und vergewaltigt worden, um eine Eheschliessung zu erzwingen. Laut einer Studie des Londoner „Overseas Development Institute“ (ODI) und den neuesten verfügbaren Zahlen von 2011 gab die Hälfte der äthiopischen Frauen an, bereits mit 16 Jahren verheiratet gewesen zu sein. 70 Prozent der verheirateten Mädchen und Frauen zwischen 12 und 24 Jahren leben in Ehen, die arrangiert wurden.
Obwohl Kinderehen in Äthiopien verboten sind, werden vor allem Töchter aus besonders armen Familien immer noch als Minderjährige verheiratet. Ihre Eltern stimmen einer Ehe oft zu, weil dann ein Esser weniger im Haus ist oder sie eine Brautgabe bekommen. Neben Armut spielen aber auch soziale Normen eine grosse Rolle. Frauen sollen unberührt in die Ehe gehen. „Die Kinderehe wird weiter als bester Weg gesehen, die Ehre der Mädchen – und damit der Familien – zu bewahren“, urteilt die ODI-Studie.
Deshalb zeigt Menschen für Menschen den Familien und den Dorfgemeinschaften auf, wie schädlich manche Traditionen für die Mädchen sind. Gleichzeitig brauchen die Mädchen und die armen Familien echte Alternativen zur Kinderehe – nämlich Bildung und Einkommensmöglichkeiten. Die 32-jährige Tadeletsch Gemede aus dem Landkreis Abaya geht nach eineinhalb Jahrzehnten Zwangspause nun wieder zur Schule. Sie besucht die sechste Klasse an der Odomika Primary School – wo ihr 16-jähriger Sohn bereits die zehnte Klasse besucht. „Wegen der frühen Heirat musste ich meine Schulbildung aufgeben“, sagt Tadeletsch. „Aber jetzt hole ich das Versäumte nach!“
Neben dem Unterricht engagiert sie sich ehrenamtlich im „Schulclub für öffentliche Gesundheit“, der von Menschen für Menschen initiiert wurde. In der grossen Pause steht Tadeletsch auf der Schulwiese. Sie klärt die Mitschüler auf, dass Kondome vor HIV schützen. Sie erklärt, dass zu viele Kinder ein Grund für Familien sind, in Armut zu verharren und welche Verhütungsmethoden es gibt. Vor allem aber fordert sie die Mitschülerinnen auf, sich gegen eine frühe Heirat zu wehren. Ihre Stimme zittert, denn sie erzählt ihre eigene Geschichte. „Es ist illegal, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren zu verheiraten“, ruft sie ins Megaphon. „Nur wenn ihr eure Schulbildung abschliesst, könnt ihr ein gutes Leben ohne Armut erreichen.“
In abgelegenen Gebieten Äthiopiens werden viele Mädchen entführt und in Kinderehen gezwungen. Ohne Familienplanung bekommen junge Frauen so viele Kinder, dass ihr Lebensweg in Armut zementiert ist. Es geht darum, ihre Benachteiligung zu beenden.
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