Mintamir Degwale hat viel ertragen, um ihre Mutter und Geschwister zu unterstützen. Profiteure des Menschenhandels nutzten sie aus. Jetzt lernt sie, wie sie ihre Kinder selbst ernähren kann – und blickt zum ersten Mal mit Zuversicht nach vorn.
Ich war viele Jahre in arabischen Ländern, um zu arbeiten. Es war ein schweres Leben. Ich ging, um meiner Familie zu helfen, aber ich habe dort viel erlitten.
Ich war sechzehn, als ich in den Jemen ging. Im Pass stand, ich sei zwanzig – sonst hätte ich keine Arbeitserlaubnis bekommen. So machen das viele von uns. Wir haben oft keine Geburtsurkunden, also geben wir ein anderes Alter an, um überhaupt reisen zu können.
Ich arbeitete dort in einem Haushalt, etwas mehr als ein Jahr. Dann hörte ich, dass man in Saudi-Arabien viel mehr verdienen könne – nicht hundert, sondern fünfhundert Dollar im Monat. Also schloss ich mich einer Gruppe an, etwa zwanzig Landsleute, die meisten junge Frauen. Schlepper sollten uns über die Grenze bringen. Wir dachten, das dauert zwei, drei Tage. Es wurden fünfzehn. Es war furchtbar.
Wir liefen durch die Wüste, meist nachts, damit uns niemand sieht. Tagsüber versteckten wir uns. Es gab kaum Wasser. Manchmal war eine Quelle am Weg. Wir hatten nichts zu essen. Wir hatten so grossen Durst. Einige von uns konnten nicht mehr. Ich weiss nicht, wie viele. Drei oder vier waren es. Sie blieben zurück. Wir konnten nichts für sie tun.
Auf der anderen Seite der Grenze warteten neue Schlepper. Sie brachten uns in ein Haus und sperrten uns ein. Sie sagten, wir kommen erst frei, wenn jemand Geld für uns zahlt – zwei Monatslöhne. Ich hatte nichts. Eine meiner Gefährtinnen sagte, sie wisse in Saudi-Arabien von einer Frau, die helfen könne, eine Äthiopierin. Sie rief die Frau an. Sie bezahlte für sie – und auch für mich.
Nach zwei Tagen brachte man mich in einem Lieferwagen weg. Ich musste eine Abaya tragen. Der Mann, der mich fuhr, sagte kein Wort. Dann kamen wir in eine grosse Stadt. Später erfuhr ich, dass es Riad war, die Hauptstadt. Sie brachten mich zu der Frau, die das Geld an die Schlepper bezahlt hatte. Sie hatte ein Haus mit mehreren Zimmern, in denen äthiopische Arbeiterinnen schliefen. Die Frau half uns, Jobs zu finden – aber sie verlangte Geld von allen. Sie verdiente an uns. Sie nutzte uns aus.
Ich bekam Arbeit in einem Haus. Ich kochte, putzte, wusch – von sechs Uhr morgens bis spät in die Nacht. Nur einmal im Monat hatte ich frei. Dann ging ich zurück in das Haus der Äthiopierin. Dort trafen sich viele äthiopische Mädchen an ihrem freien Tag. Es gab dort auch äthiopische Männer. Einer von ihnen war freundlich zu mir. Ich verliebte mich. Ich war siebzehn, er war über dreissig. Ich vertraute ihm. Wenn ich meinen Lohn bekam, gab ich ihm das Geld, damit er es meiner Familie schickt.
Später fand ich heraus, dass er auch mit anderen zusammen war. Er nahm unser Geld und behielt viel davon. Danach wusste ich: Ich muss hier weg. Ich ging zur Polizei und sagte, ich habe keine Papiere. Sie sperrten mich drei Monate ein. Dann half mir die äthiopische Botschaft, nach Hause zurückzukehren.
Aber in Äthiopien fand ich keine Arbeit. Also ging ich wieder weg – erst nach Beirut, dann nach Dubai. Überall arbeitete ich in Häusern. Ich schickte das Geld an meine Mutter und meine Geschwister. Ich hatte Rückenschmerzen, Husten, ich war oft krank. Die Frau, bei der ich in Dubai arbeitete, kaufte mir Medikamente, aber irgendwann sagte sie: «Du bist schwach, du musst nach Hause.» Sie zahlte mir das Ticket, und ich flog zurück. Ich hatte nichts mehr, nur die Kleidung, die ich trug.
Das war vor rund sechs Jahren. Eine Freundin stellte mir meinen späteren Mann vor. Wir heirateten. Bald darauf wurde unsere erste Tochter geboren, Yanith. Und nun haben wir noch ein zweites Mädchen, sie heisst Hermon.
Leider findet mein Mann als Taglöhner nur zeitweise Arbeit. Er repariert kleine Häuser in den Armenvierteln. Hermon war immer ein sehr schwaches Kind. Vor vier Monaten wog sie nur sechs Kilo. Wir kamen in das Ernährungsprogramm von Menschen für Menschen. Sie bekam Spezialnahrung, und ich lernte, wie man Kinder auch mit wenig Geld gut ernährt. Jetzt wiegt sie neun Kilo.
Gleichzeitig wurde ich in die Ausbildung zur Hauswirtschafterin bei Menschen für Menschen aufgenommen. Während ich lerne, ist Hermon in der Kinderkrippe.
Ich hoffe, dass ich nach der Ausbildung Arbeit finde – vielleicht in einer Kindertagesstätte oder in einer Restaurantküche. Ich will selbst Geld verdienen, meine Kinder versorgen, ihnen eine Zukunft geben. Ich will, dass meine Töchter es einmal besser haben.