Ein Mann röstet Kaffee und irritiert damit ein ganzes Dorf. Dabei sind solche Momente wichtiger, als man glauben mag: Mädchen und Frauen tragen in Raphe die Hauptlast des Alltags – und erste Veränderungen wirken sich direkt auf Einkommen und Stabilität aus.
Der Rauch vom offenen Feuer unter der Eisenpfanne hängt schwer in der Luft. Er beisst in den Augen, lässt sie tränen. Aber Adenet Kabenet beugt sich unverdrossen über die Pfanne, bewegt die Kaffeebohnen darin.
Der Rauch hielt ihn so wenig ab wie das Kopfschütteln der Nachbarn. Als er mit dem Rösten von Kaffee anfing, lachte das Dorf. «Ein Mann, der Frauenarbeit macht – schockierend!», hiess es. Sein Bruder grüsste ihn nicht einmal mehr.
In dieser Starrheit des Denkens liegt ein Kernproblem im Dorf Cherbenta im Distrikt Raphe. Mädchen und Frauen tragen den Großteil der Last im Alltag. Mädchen fehlen in der Schule, weil sie früh kochen, putzen, Wasser holen oder beim Verarbeiten der Ensete helfen müssen. Aus den Pseudostämmen und Knollen dieser Staude wird durch Fermentation der Rohstoff für das stärkehaltige, brotähnliche Grundnahrungsmittel Kotcho gewonnen. Viele Mädchen werden schon vor ihrem 15. Geburtstag verheiratet. «Von 50 Frauen sind 30 oder mehr früh verheiratet» sagt Zemariam Bekele, die Beauftragte für Gleichstellung im neuen Projekt von Menschen für Menschen. Frauen arbeiten täglich bis zu zehn Stunden im Haushalt – zusätzlich zur Feldarbeit. Eine faire Verteilung gibt es nicht. Und das Konzept von Gleichstellung kennen nur wenige: Gerade einmal 15 Prozent der Frauen haben das Wort schon einmal gehört, wie Gruppendiskussionen offenlegten. Viele Frauen lehnen die Gleichstellung sogar ab – weil sie in einer Kultur aufgewachsen sind, in der andere Rollenbilder schlicht nicht vorkommen.
Zemariam kennt die Gesichter hinter diesen Zahlen. «Zu viele Kinder, zu viel Last», sagt sie. «Und oft trägt die Frau vorne ein Kind, an der Hüfte ein zweites, auf dem Rücken landwirtschaftliche Produkte.» Für sie ist das keine Anklage, sondern ein Ausgangspunkt. Sie bereitet Schulungen vor, hält sie selbst, bildet «Peer Educators» aus und begleitet Paare auf dem Weg zu sogenannten «Modellfamilien für Gleichstellung». Dort geht es nicht nur um grosse Ideale, sondern um praktische Fragen: Wer verkauft die Waren auf dem Markt? Wer entscheidet über die Ausgaben? Und: Wie viele Kinder können wir uns leisten?
So einen Kurs haben auch Adenet und seine Frau Bereket besucht. Seitdem rösten sie Kaffee gemeinsam, verarbeiten Enset zu Kotcho und stellen eine Art Bier für den Markt her. Nach drei Monaten der Arbeitsteilung lacht niemand mehr – die Eheleute und ihre vier Kinder sind für viele Dorfbewohner zu einer Vorbildfamilie geworden, aufgrund ihres wirtschaftlichen Erfolgs: Was früher eine Woche alleinige Last für Bereket war, schaffen sie jetzt gemeinsam in zwei Tagen. Das bedeutet weniger Erschöpfung – und mehr Einkommen. Es ändere auch die Atmosphäre im Haus, sagt ihr Ehemann: «Unsere Beziehung hat sich verändert. Wir sind viel liebevoller miteinander.» Adenets Mutter, die zuerst skeptisch war, sagt heute: «Zu sehen, wie eine Frau gut behandelt wird – das macht mich glücklich.» Und der Bruder grüsst wieder.
Für MfM-Fachfrau Zemariam ist das erst der Anfang. Die grössten Effekte kommen später – wenn die Frauen, die sich in Selbsthilfegruppen zusammenschliessen, Mikrokredite nutzen, kleine Gewerbe aufbauen, ihre ersten Gewinne zurücklegen, Entscheidungen treffen – oft zum ersten Mal. «Dann kommt die ganze Familie voran», sagt Zemariam: Gleichstellung als eine Investition in Effizienz, Stabilität und die Überwindung von Armut.