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Grosser Bruder, grosses Herz

Seit ihre Eltern vor sechs Jahren gestorben sind, kümmert sich Yohannes rührend um seinen kleinen Bruder: Eine Kindergeschichte aus Äthiopien über die Hoffnung und die Liebe.

Waiserkinderheim in Äthioien

Mit einer Geschichte schläft man besser ein: Yohannes und Nebeyu in ihrem Schlafraum.

„WO IST UNSERE MAMA?“, fragt der neun Jahre alte Nebeyu manchmal. „Wann kommt sie uns besuchen?“ Dann sagt Yohannes, sein grosser Bruder: „Sie ist in einer weit entfernten Stadt, sie kann nicht kommen.“ Der 14-jährige sagt nicht, dass die Mutter tot ist. „Es ist besser für meinen kleinen Bruder, dass er Hoffnung hat“, erklärt Yohannes. „Sonst wird er nur traurig. So wie ich häufig.“ Aber auch Nebeyu wird älter und versteht mehr von der Welt, überlegt Yohannes: „Wahrscheinlich ahnt er, dass unsere Mama nie mehr kommen wird.“

Wenn er nicht schlafen kann, denkt Yohannes oft daran, wie er früher mit seinem Vater durch die Strassen fuhr. Der über dreissig Jahre alte Lada wäre in Europa schon lange auf dem Schrottplatz gelandet, aber in Addis Abeba gibt es Tausende der russischen Autos, die als Taxis dienen. „Das ist die Handbremse“, erklärte der Vater. „Und so schaltet man vom ersten in den zweiten Gang.“ Yohannes war froh und stolz auf seinen Vater, den Taxifahrer. Wenn sie nach Hause kamen, stand die Mutter am Feuer und buk Injerra, weiches und säuerliches Fladenbrot. Doch dann wurde die Mutter krank, sie magerte immer mehr ab. Dann ging sie ins Krankenhaus. Einige Tage später kam ein Onkel von Yohannes in die Schule und sagte, er möge nach Hause kommen: Seine Mutter war gestorben.

Etwa ein Vierteljahr danach starb auch der Vater – wie die Mutter an den Folgen von AIDS. Jährlich sterben rund 67’000 Äthiopier aufgrund der Immunschwäche- Krankheit. Hunderttausende Kinder im Land hat sie zu Halb- oder Vollwaisen gemacht. Die meisten von ihnen kommen bei Verwandten unter. Aber Yohannes Tanten waren zu alt und zu arm, um ihn und seinen kleinen Bruder Nebeyu aufzunehmen.

Gebrüder Waisenkinderheim

Der grosse Brunder Yohannes mit seinem jüngeren Bruder Nebeyu.

So kamen Yohannes und Nebeyu in das Waisenheim von Abebech Gobena, eine Weggefährtin von Menschen für Menschen-Gründer Karlheinz Böhm. Das Heim ist eine Insel der Ruhe im Lärm und Staub der Millionenstadt. Eine Pergola mit Weinlaub spendet Schatten, an den Wänden ranken sich Rosenstöcke empor, und in einer Ecke streuen Betreuerinnen ein wenig Teff-Samen aus, um Spatzen anzulocken, zum Vergnügen der Kinder.

Fröhliches Kindergeschrei gehört zur ständigen Geräuschkulisse. Doch unter der Oberfläche kämpfen manche Kinder auch mit Traurigkeit. Yohannes Noten in der Schule sind in den vergangenen Jahren abgesackt. „Ich muss so viel an meine Familie denken und an die Tage, als meine Mutter starb. Das stört mich in meiner Konzentration“, sagt Yohannes. Dabei braucht er für seine Zukunftspläne gute Zeugnisse. Er möchte Mechaniker werden oder noch lieber Arzt. „Als meine Mutter krank war, sagte ein Doktor, er könne sie nicht behandeln, weil wir kein Geld hatten“, erklärt der 14-jährige. „Ich möchte ein Doktor werden, der allen Leuten hilft.“ Zwar tun ihm die Gespräche mit den Betreuerinnen in seiner Trauer gut, aber am meisten hilft ihm, sich um seinen kleinen Bruder zu kümmern. „Nebeyu ist der wichtigste Mensch auf der Welt für mich“, sagt Yohannes. „Ich liebe ihn sehr.“

Die Rolle des grossen Bruders füllt er gerne und immer aus: „Ich sage ihm, er solle sich auf die Schule konzentrieren und sich nicht mit anderen Buben prügeln, vor allem weil er es immer mit Stärkeren aufnehmen will.“ Aber wirklich Schlimmes kann Nebeyu nicht passieren, denn Yohannes passt auf ihn auf. Im Speisezimmer sitzen die Brüder immer nebeneinander.

In Äthiopien isst man mit der rechten Hand und ohne Besteck. Wenn man jemanden gern hat, füttert man ihn mit den besten Bissen – so wie es Yohannes bei Negeyu häufig tut. Der kleine Bruder darf Yohannes begleiten, wenn er zu der nahegelegenen Autowerkstatt geht, um den Mechanikern zu helfen – eine Lieblingsbeschäftigung von ihm. Über die Motoren der alten Ladas und Toyotas gebeugt, vergisst er alles andere.

EIN SICHERER ORT

Seit einem Jahr hat Yohannes ein neues Hobby: Ein Freund schenkte ihm ein Taubenpärchen. Er baute aus Karton einen kleinen Unterschlupf, das Pärchen brütete darin Junge aus. „Ich hatte sieben Vögel“, erzählt Yohannes. Aber über den Armenvierteln von Addis Abeba ziehen Milane ihre Kreise. Im Laufe der Monate schnappten die Raubvögel sechs seiner Tauben. Als ein Besucher des Waisenheims davon hörte, schenkte er Yohannes spontan etwas Geld. Er lief zum Markt und kaufte sich ein neues Taubenpärchen. Dieses Mal baute Yohannes einen stabilen Taubenschlag aus Holzbrettern und hängte ihn unter ein Vordach. „Jetzt haben die Tauben einen sicheren Ort, der sie vor den Raubvögeln schützt“, erklärt er. Yohannes ist ein Junge, der nicht so leicht aufgibt im Leben.


ABEBECH GOBENA

Menschen für Menschen-Gründer Karlheinz Böhm traf die Waisenheim-Gründerin Abebech Gobena zum ersten Mal im Jahre 1991 und war tief beeindruckt von ihrer Arbeit. Deshalb unterstützt die Stiftung die von Abebech Gobena betreuten Waisen schon seit Jahrzehnten. „Menschen für Menschen hat mit seiner stetigen Unterstützung das Fundament für meine Organisation gelegt“, sagt Abebech Gobena heute.


WARUM WIR HELFEN

In einem Land mit grosser Armut und schlechter Gesundheitsversorgung erkranken viele Eltern schwer und sterben häufig früh. Auf dem Land werden Waisenkinder meist von Verwandten aufgenommen. Aber in der Hauptstadt Addis Abeba leben viele Zuzügler ohne Verwandtschaft. Manche Kinder werden von ihren verzweifelten Müttern an Kirchen ausgesetzt. Im Kinderheim von Menschen für Menschen, haben 34 Kinder ein Zuhause gefunden, in dem sie geborgen aufwachsen können.

Für 150 CHF im Monat können wir den Kindern diese sichere Heimat bieten.

 

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