Die Stiftung Menschen für Menschen Schweiz macht es sich zur Aufgabe, auf dem Land wie in den Städten Verelend- ung aufzuhalten und Lebenschancen aufzubauen.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie Sie die Menschen in Äthiopien unterstützen können. Hier finden Sie alle Spendenmöglichkeiten mit konkreten Beispielen.
Wiege der Menschheit, Herkunftsland des Kaffees, reiche Kultur und arme Familien. Über 100 Millionen Menschen leben hier: Auf Besuch in einem widersprüchlichen Land.
Hailegebriel ist ein Waisenkind. Seine Kindheit verbringt er wohlbehütet im Abebech Gobena Kinderheim in Addis Abeba. Doch die Frage nach seiner Herkunft quält ihn. Beim Laufsport findet er Erleichterung vom Grübeln. „Ich möchte professioneller Läufer werden“, sagt der 13-Jährige lächelnd.
Wer ist mein Vater? Wer ist meine Mutter? Warum hat sie mich verlassen? War ich ihr nichts wert? Ist sie noch am Leben? Immer wieder kreisen diese Fragen im Kopf von Hailegebriel Gobena. Sie überfallen den 13-jährigen Jungen manchmal in den Schulstunden. Auch abends im Bett, wenn er nicht einschlafen kann, plagen sie ihn.
Hailegebriel ist ein Findelkind. Das Bündel mit dem drei Monate alten Baby wurde in einer Kirche gefunden. Die Polizei brachte den Jungen ins Abebech Gobena Waisenheim, in dem Menschen für Menschen Schweiz die Betreuung der dort untergebrachten 38 Kinder ermöglicht.
Jeden Morgen trainieren Hailegebriel und seine Freunde auf dem Gelände des Waisenheims
Über die Eltern konnte die Polizei nichts in Erfahrung bringen. Deshalb wurde der kleine Junge im Waisenheim auf den Namen Hailegebriel getauft. Sein Zweitname lautet Gobena – so wie der von sechs weiteren Kindern auch: Alle Findelkinder bekommen den Namen der Heimgründerin. Die 78-Jährige Abebech Gobena hat im Laufe ihres Lebens Hunderte von Kindern gerettet und ihnen zu einer guten Kindheit verholfen. Viele der in ihrem Heim aufgenommenen Waisenkinder fanden in reichen Ländern eine sichere Zukunft. Denn Familien aus dem Ausland konnten sich darum bewerben, eine Waise zu adoptieren. Auch Hailegebriel freute sich bereits auf sein neues Leben in Amerika.
Ein Ehepaar äthiopischer Herkunft mit zwei leiblichen Kindern wollte Hailegebriel zu sich in die USA nehmen. Sie besuchten ihn im Heim, schrieben ihm Briefe. Doch unvermittelt kam ein letzter Brief aus Amerika. Der Vater schrieb, die wirtschaftliche Situation der Familie habe sich verschlechtert, sie könnten Hailegebriel leider doch nicht adoptieren. Einen neuen Adoptionsversuch mit einer anderen Familie gab es nicht. Die äthiopische Regierung hat die Bestimmungen geändert. Waisen sollen nun möglichst im eigenen Land grossgezogen werden. Natürlich war die Erfahrung eine grosse Enttäuschung für Hailegebriel. Doch früh am Tag läuft er seinen Gedanken davon.
Im Morgengrauen stehen sechs Jungen aus dem Heim gemeinsam auf: Dinku, Eyob, Natnael, Nebiyu, Yohannes und Hailegebriel. Sie reiben sich den Schlaf aus den Augen und schnüren die Sportschuhe. Dann drehen sie gemeinsam ihre Runden auf dem ausgedehnten Areal des Waisenheims. Es fühlt sich gut an, zu laufen, während der Tag erwacht. Den rasenden Puls zu spüren, den pumpenden Brustkorb, die Schweisstropfen auf der Stirn: Dann denkt Hailegebriel nicht mehr daran, warum seine Mutter ihn abgelegt hat wie ein altes Kleidungsstück. Dann denkt er nur noch an Kenenisa Bekele und an seine eigene ruhmreiche Zukunft.
Kenenisa Bekele! Was für ein Athlet. Weltrekordhalter und Olympiasieger auf der 5000- und 10’000-Meter-Distanz. Ein Ausnahmeläufer, der sich 2014 erst im Alter von 32 Jahren an die Marathon-Distanz machte und sein erstes Rennen in Paris gleich gewann, dabei sogar einen Streckenrekord aufstellte: 42 Kilometer in 2 Stunden und fünf Minuten. Und am 25. September 2016 verpasste er den Weltrekord beim Lauf in Berlin mit seiner spektakulären Zeit (2:03:03 Stunden) um lediglich sechs Sekunden. Hailegebriel verfolgt alle Rennen von Kenenisa Bekele am Fernsehen. „Er ist so unglaublich schnell“, sagt er voller Bewunderung.
Es gibt zahlreiche äthiopische Langstreckenläufer, die bei Wettkämpfen in Europa und Amerika so schnell rennen, dass die meisten Zeitgenossen Mühe hätten, mit einem Fahrrad mitzuhalten. Vielleicht hat sich Hailegebriel gerade Kenenisa Bekele als Vorbild ausgesucht, weil die beiden sich äusserlich ähneln. Tatsächlich könnte Kenenisa Bekele der grosse Bruder von Hailegebriel sein, mit seinen feinen Gesichtszügen und den sanften Augen. Sein Berufswunsch? „Ich möchte Athlet werden“, sagt Hailegebriel.
Waisenkind Hailegebriel hat grosse Pläne
Ob dieser Traum in Erfüllung geht, ist freilich ungewiss. Wichtig sei es jetzt vor allem, dass für Hailegebriel eine Pflegefamilie im Viertel gefunden werde, erklärt Wenschet Damtew, Sozialarbeiterin im Kinderheim: Das Heim ist ein beschützter Ort. Die Lebenswirklichkeiten in Äthiopien spiegelt es nur unzureichend wider. Soziales Verhalten und gesellschaftliche Normen lernen die Kinder besser in Familien in den Stadtvierteln. Dort werden sie trotz unserer guten Betreuungsangebote im Heim tendenziell lebenstüchtiger.“
Die Sozialarbeiterin spricht gut beleumundete Witwen und Ehepaare an, ob sie ein Kind in Pflege nehmen wollen. Die Pflegeeltern bekommen eine kleine finanzielle Unterstützung für Essen und Kleidung der aufgenommenen Kinder. Sie werden von den Sozialarbeitern aus dem Heim weiter begleitet und es wird ihnen von Menschen für Menschen Schweiz eine Berufsausbildung ermöglicht: „Mit diesem Modell haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht.“
Hailegebriel wird auf seinem langen Lauf ins Leben nicht allein gelassen. Auf dass er seinen Schmerz auch dank der Antworten bewältigt, die ihm die Betreuerinnen auf seine drängenden Fragen geben: „Keine Mutter setzt ihr Kind ohne Not aus! Sie war ohne Zweifel bitterarm. Und mit einiger Wahrscheinlichkeit auch schwer krank.“ Häufig sind es tuberkulose-und aidskranke alleinstehende Frauen, die ihre Kinder aus reiner Verzweiflung zurücklassen. Sie glauben und hoffen, dass ihr Kind Hilfe von fremden Menschen bekommt, die ihm eine viel bessere Zukunft geben können. Sie legen ihr Kind in einer Kirche ab, weil sie auf Barmherzigkeit hoffen – nicht für sich, sondern für ihr geliebtes Kind.
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