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Genet und Gudina: Namen in Äthiopien

Vom «Garten Eden» bis zu «Es ist genug!»: Wie äthiopische Eltern ihre Kinder nennen.

Der äthiopische Regierungschef heisst Abiy Ahmed. Doch die internationalen Medien bezeichnen ihn nicht als Premierminister Ahmed, sondern als Premierminister Abiy. Warum?

 

Genet Shewa, Lehrerin im Hauswirtschaftskurs

Die Leiterin unserer Hauswirtschaftsausbildung heisst Genet – zu deutsch «Garten Eden»

In Äthiopien kennt man keinen Vor- und Familiennamen nach westlichem Verständnis. Die Regierung hat bereits 1960 versucht, dies zu ändern und im Zivilgesetzbuch einen Nachnamen nach westlichem Muster einzuführen. Doch die Idee setzte sich nicht durch, es herrscht weiter die traditionelle Namensgebung vor: Die Äthiopier benutzen im privaten wie geschäftlichen Rahmen einen einzigen Namen – im Fall des Premierministers eben Abiy. Zur Unterscheidung von anderen Personen hängen die Äthiopier den Namen ihres Vaters an: Der berühmteste äthiopische Läufer heisst Haile, der Name seines Vaters ist Gebreselassie. Häufig kommt es auch vor, dass jemand noch zusätzlich den Namen des Grossvaters nutzt: Der aus Äthiopien stammende Chef der Weltgesundheitsorganisation WHO nennt sich entsprechend Tedros Adhanom Ghebreyesus.

Bei der Namenswahl ist meist die geschichtliche und religiöse Prägung unverkennbar. Die Menschen sind sehr gläubig und viele suchen angesichts ihrer grossen Armut Rückhalt und Trost in der Religion, die das tägliche Leben in hohem Mass mitbestimmt: Bei Namen wie Bethlehem, Yosef, Mariam oder Mohammed erschliesst sich dieser religiöse Sinn.

Selamawit wird von ihrer Mutter auf die Backe geküsst

Ein Kuss der Mutter für Selamawit – das «friedliche Mädchen»

Speziell die Volksgruppe der Amharen vergibt gerne Namen, die eine wörtliche Bedeutung haben. Dabei wird der Name oft passend zu einer Eigenschaft ausgesucht, die das Baby hat oder die man ihm wünscht. Knaben heissen beispielsweise Afework (Mund aus Gold), Mintesonet (der, der alles kann) oder Tesfaye (Hoffnung) und Mädchen Melkam (gut), Almaz (Diamant), Tigist (die Geduldige) oder Genet (der Garten Eden).

Häufig spielen auch die Umstände, unter denen das Kind geboren wird, eine Rolle. So fühlte sich ein Mitarbeiter von Menschen für Menschen, an dem Tag, als er die Stellenzusage erhielt, beglückt – und nannte seine neugeborene Tochter darauf spontan «Menschen».

Viele Eltern achten auch sehr darauf, dass der Name des neuen Erdenbürgers in Verbindung mit dem Vaternamen einen tieferen Sinn ergibt: «Berhanu Negussie» heisst übersetzt: «Das Licht ist mein König». «Zelalem Emun» kann interpretiert werden als «immerwährende Ehrlichkeit».

Der Name des Knaben ist „Kaku“: «Es ist genug.»

Nicht immer ist die Namenswahl derart poetisch, dafür entwaffnend ehrlich: In den Slums von Debre Berhan fördert Menschen für Menschen einen siebenjährigen Knaben mit dem Namen Yibakal aus einer besonders armen Familie. Das bedeutet im Amharischen: «Es ist genug.» Er ist der Jüngste in einer Geschwisterschar von sechs Kindern. Und in Abaya, wo man Oromo spricht, nannte Fikre Demeke ihren jüngsten Sohn Kaku, auch das bedeutet: «Genug!» Die Frau bekam ihn im Alter von 30 Jahren als sechstes Kind – mit 15 wurde sie der Tradition gemäss in eine Frühehe gezwungen.

Nachdem Fikre Demeke in eine Selbsthilfegruppe von Menschen für Menschen eingetreten ist, hat sie gelernt, wie man Familienplanung betreibt. Dank eines Mikrokredits als Kleinhändlerin hat sie ihr Einkommen verbessert und die Kinder können zur Schule gehen. Dadurch erhält Kaku bessere Lebensperspektiven. Er hat die Chance auf eine Ausbildung und ein gutes Leben und wenn er einmal selbst einen Sohn bekommt, nennt er ihn vielleicht «Gudina». Das bedeutet soviel wie «Wachstum» oder «Entwicklung».

Fikre Demekes Geschichte finden Sie hier:

Gesichter der Armut