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«The Lancet» berichtet über Abebech Gobena

Die Humanistin Abebech Gobena baute ihr Lebenswerk auch mit der Hilfe von Menschen für Menschen auf. Zu ihrem Tod hat ihr die renommierte medizinische Fachzeitschrift «The Lancet» einen Nachruf gewidmet.


Veröffentlicht: 9.10.2021
Autor: Andrew Green
Artikel im EN-Original: «The Lancet»

Nachruf

Abebech Gobena

Humanitäre Helferin und Gründerin einer Organisation zur Unterstützung verwaister und gefährdeter Kinder und ihrer Gemeinschaften. Abebech Gobena wurde am 20. Oktober 1935 in Shebel Abo, Äthiopien, geboren und starb am 4. Juli 2021 in Addis Abeba, Äthiopien, im Alter von 85 Jahren an COVID-19.

 

Als Yitbarek Tekalign seine Arbeit bei der «Abebech Gobena Children’s Care and Development Association» (AGOHELMA) in Äthiopien aufnahm, erfuhr er, dass Abebech Gobena, die Gründerin und Geschäftsführerin der Organisation, die gefährdete Kinder und ihre Gemeinden unterstützt, sich kürzlich den Arm gebrochen hatte. Bei einem Rundgang durch die Einrichtung war Yitbarek überrascht, dass Abebech mit einer Gruppe rauflustiger Kinder spielte. «Sie war nicht von den Kindern zu trennen, auch wenn es ihr nicht gut ging», sagt Yitbarek, der jetzt Kommunikationsmanager von AGOHELMA ist. «Sie engagierte sich bei allen Aktivitäten und machte allen in ihrer Organisation Mut.»

Abebech Gobena mit Karlheinz Böhm im Heim für elternlose Kinder

Abebech Gobena mit Karlheinz Böhm im Heim für elternlose Kinder

AGOHELMA entstand aus der Weigerung Abebechs, Kinder in Not im Stich zu lassen. Im Jahr 1980 unternahm sie eine Pilgerreise nach Gishen Mariam, einer religiösen Stätte in der damaligen äthiopischen Provinz Wollo. In der Region herrschte eine Hungersnot und Abebech begann, Lebensmittel und Wasser an die Menschen zu verteilen. Als sie einem Baby und seiner Mutter begegnete, musste sie feststellen, dass die Frau tot war. Sie rettete das Baby und kehrte bald darauf in die Region zurück, als sie von einem sterbenden Mann ein weiteres Kind bekam. «Von da an begann sie, ein Leben für die Kinder aufzubauen, die keine Familie haben», sagte Getachew Zewdu, der äthiopische Landesbeauftragte von Menschen für Menschen, einer in der Schweiz ansässigen Nichtregierungsorganisation, die AGOHELMA unterstützt. Ende des Jahres hatte sie 19 weitere Kinder in ihr Haus in Addis Abeba geholt. Von ihrer Familie abgelehnt, verwandelte sie das behelfsmässige Waisenhaus schliesslich in eine nationale gemeinnützige Organisation, die Kindern ohne elterliche Unterstützung nicht nur Unterkunft und Bildung bietet, sondern auch Workshops für junge Menschen organisiert, in denen sie berufliche Fertigkeiten erlernen können, sowie Selbsthilfegruppen für Menschen, die mit HIV leben, und Schulungen für medizinisches Personal. «Sie ist eine humanitäre Ikone und wird für alle Generationen ein Vorbild sein», so Yitbarek.

In dem Monat, in dem Abebech 1935 geboren wurde, marschierte Italien in Äthiopien ein, und ihr Vater wurde bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen getötet. Sie wuchs bei ihrer Mutter und ihren Grosseltern auf und wurde im Alter von zehn Jahren mit einem älteren Mann verheiratet. Sie entkam der Ehe und floh nach Addis Abeba, wo sie die Schule besuchte, eine Reihe von Jobs fand und schliesslich wieder heiratete. Als Abebech 1980 die Kinder rettete, brachte sie sich selbst in Gefahr. «Die damalige Regierung wollte nicht, dass die Hungersnot öffentlich bekannt wird», sagte sie 2010 in einem Interview. «Also musste ich so tun, als ob die Kinder von mir wären, und sie rausschmuggeln.» Sie zog auch den Zorn ihrer Familie und ihres Mannes auf sich, «die ihr rieten, aufzuhören», so Yitbarek. Als sie gezwungen war, sich zwischen ihrem Mann und den Kindern zu entscheiden, entschied sie sich für die Kinder und unterstützte sie, indem sie Lebensmitteln und ihren Schmuck verkaufte. «Sie gab alles auf für das Leben vieler Kinder, die sich in einer sehr gefährlichen und benachteiligten Lage befanden», erklärte Getachew. «Tag und Nacht hat sie gearbeitet, um den Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen.»

«Sie war tiefreligiös und sehr klug», erinnerte sich Girma Berhanu, ein ehemaliger Beamter der damaligen «Rehabilitation Agency for the Disabled». Schon bald nach der Rettung der ersten Kinder beantragte sie bei der staatlichen Behörde Unterstützung. «Am Anfang war sie nicht sehr systematisch, aber sie war sehr ehrgeizig. Sie wollte so viele Menschen wie möglich erreichen», sagte Girma, der heute Professor für Sonderpädagogik an der Fakultät für Erziehungs- und Sonderpädagogik der Universität Göteborg in Schweden ist. Mit zunehmender Unterstützung durch externe Spender konnte sie ihre Organisation 1986 als gemeinnützig eintragen lassen. Sie begann auch, zusätzliche Services zur Unterstützung der Waisen, gefährdeten Kinder und Erwachsenen aus Gemeinden überall im Land einzurichten, wobei sie sich um alles kümmerte, von der Gesundheit über die Schaffung von Einkommen bis hin zur Umwelt. «Die humanitäre Tätigkeit, die sie in einem Hühnerstall begann, hat sich ausgeweitet und umfasst heute viele Entwicklungsaktivitäten», erklärte Yitbarek.

Obwohl Abebech als Geschäftsführerin von AGOHELMA tätig war, bezog sie kein Gehalt und lebte in relativer Armut. «Sie schenkte ihr gesamtes Vermögen der Organisation», so Yitbarek, und übergab schliesslich die Leitung von AGOHELMA an ihre Mitarbeiter. «Sie war eine aussergewöhnliche Frau», sagte er. Abebech, die unter dem Namen Emaye bekannt ist, was übersetzt «wunderbare Mutter» bedeutet, hinterlässt mehr als 100’000 Kinder, die von den Leistungen von AGOHELMA profitiert haben.

 

Möchten Sie den Artikel vom 9. Oktober 2021 der Fachzeitschrift «The Lancet» lieber im englischsprachigen Original lesen? Hier können Sie ihn herunterladen:

 

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