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Mehr Power für die Frauen!

In Addis Abeba bilden wir besonders arme Frauen zu Köchinnen und Hauswirtschafterinnen aus. Nun verstärkt eine neue Mitarbeiterin das Programm in der äthiopischen Hauptstadt: Hareg Yohannes, 31, vernetzt die Absolventinnen untereinander und mit Arbeitgebern. Die Mutter zweier kleiner Töchter hat Sozialwissenschaften studiert, ihre Leidenschaft ist das «Frauen-Empowerment».

 

Hareg Yohannes während im Gespräch.

Hareg Yohannes: „Die Ausbildung wirkt sich auf Generationen aus.“

Frau Hareg Yohannes, die Auszubildenden lernen zu kochen, einen Haushalt zu führen und Kleinkinder zu betreuen. Wozu braucht es Sie, eine studierte Sozialwissenschaftlerin und Fachfrau für «Empowerment».

Empowerment bedeutet ja, das Selbstbewusstsein und vor allem die Selbstbestimmung der Frauen zu fördern. Das ist eine ganz zentrale Aufgabe für den Erfolg des Projekts. Denn Armut und traditionelle Benachteiligung von Frauen hängen eng zusammen.

 

Äthiopiens Premierminister Abiy hat schon sehr viele Spitzenämter in Regierung und Justiz mit Frauen besetzt.

Ich bin sehr froh darüber. Aber das ist auf dem ganz hohen Level. Bis zur Graswurzel sind die Auswirkungen noch lange nicht durchgesickert. Auch auf lokaler Ebene müssen starke Frauen in öffentliche Ämter, um konkrete und handfeste Gleichstellung zu erreichen. Schon in den Familien sind Frauen benachteiligt. Beispielsweise wollen manche Ehemänner und Lebensgefährten nicht, dass ihre Frauen unsere Ausbildung machen – dann rede ich mit den Herren, versuche zu vermitteln.

 

Was sagen Sie den Männern?

Dass eine Ausbildung der Frauen zum Nutzen der ganzen Familie ist. Das Empowerment einer Frau wirkt sich auf Generationen aus. Es macht einen riesigen Unterschied für ein Kind, ob es in einer Familie mit einer ausgebildeten und starken Mutter aufwächst oder nicht. Wenn wir das Leben einzelner benachteiligter Frauen verbessern, bringen wir Wandel für die ganze Gesellschaft. Davon bin ich überzeugt. Ich möchte eine Stimme für benachteiligte Frauen sein. Sie haben keine Vorstellung davon, was manche mitmachen!

 

Erzählen Sie es uns.

Ich denke beispielsweise an eine Absolventin in unserem jüngsten Kurs. Sie wurde von ihren Eltern, armen Bauern auf dem Land, allein in die Stadt geschickt, um als Hausmädchen zu arbeiten. Im Alter von elf Jahren. Für Kost und Logis als Lohn. Mit 17 wurde sie von ihrem Arbeitgeber vergewaltigt – und blieb bei ihm. Weil er ihr die Ehe versprach! Durch die Vergewaltigung in den Augen der traditionellen Gesellschaft entehrt, sah sie keinen anderen Ausweg. Als sie schwanger wurde, warf der Mann sie aus dem Haus. Mit 20 hat sie nun eine eineinhalb Jahre alte Tochter.

 

Hareg Yohannes im Hauswirtschaftskurs.

„Mit Bildung kann man weit kommen.“

Was hat so eine junge Frau für Chancen?

Allein? So gut wie keine. Manche der Auszubildenden in unserem Kurs waren bis dato Sexarbeiterinnen. Wenn man sie befragt, stellt sich heraus: Fast alle sahen sich durch übergrosse Armut zu dieser Arbeit gezwungen, um ihre Kinder ernähren zu können. Der Ehemann stirbt, sie haben keinen Job, manche müssen Kunden bei sich zuhause für einen Lohn von 100 Birr (CHF 3) bedienen. Deshalb ist unser Ausbildungsangebot so wichtig.

 

Wie können Sie diesen Frauen helfen?

In den ersten Wochen meiner Tätigkeit habe ich unter anderem einen Unterrichts-Leitfaden entworfen. Neben den praktischen Schulungen erhalten die Teilnehmerinnen jetzt auch „Empowerment“-Unterricht. Darin geht es beispielsweise um Familienplanung, um wirtschaftliche Grundkenntnisse und um psychologische Fragen: Was ist eine gesunde Beziehung? Wie kann man sein Selbstbewusstsein stärken? Seit diesem Unterricht bin ich den Auszubildenden sehr nah und sie weihten mich auch in kleine Geheimnisse ein …

 

Verraten Sie uns eines?

Gerne. Eine der Auszubildenden ist alleinerziehende Mutter von fünf Kindern, sie arbeitet für einen geringen Lohn in einer Schule als Putzfrau. Ein Vollzeitjob, ihr Chef durfte nicht wissen, dass sie sich nebenher weiterbildet. Also putzte sie immer schon im Morgengrauen, aber an einem Tag schaffte sie es nicht, pünktlich zur Ausbildung zu kommen – die Wächter am Tor lassen nach Unterrichtsbeginn niemand aufs Gelände. Unser Kurs ist sehr intensiv und pünktliche Anwesenheit ist sehr wichtig, auch für den Berufserfolg.

 

Also verpasste die Frau an dem Tag den Unterricht?

Nein, denn sie war schlau. Sie müssen wissen: Oft kommt im Ausbildungszentrum kein Wasser aus dem Hahn. Um Wasser zu sparen, schaltet die Stadtverwaltung die Versorgung einzelner Nachbarschaften zeitweise ab. Dann schleppen die Auszubildenden Wasser von draussen in grossen Plastikfässern herbei. Unsere Auszubildende, die zu spät kam, wusste genau wann ihre Kolleginnen zum Wasser holen kommen würden und wartete. Sie ist nicht besonders gross, sie kletterte also in ein leeres Fass und liess sich von ihren Kameradinnen an den Wächtern vorbei zum Unterricht tragen. Als sie von dem Streich erzählte, war das Gelächter gross.

 

Das klingt, als ob die Auszubildenden wirklich keine Minute versäumen wollen.

Dem ist so. Deshalb haben wir auch eine Kita eingerichtet. Dort können Frauen, die niemanden für die Betreuung haben, ihre Kinder abgeben.

 

Angehende Köchinnen im Kurs

Die Ausbildung ermöglicht den Frauen ein selbstbestimmtes Leben.

Auch Sie selbst wirken, als ob Sie Ihre Aufgabe mit viel Herzblut machen. Was ist Ihr Hintergrund?

Ich bin das jüngste von fünf Kindern. Mein Vater war ein einfacher Arbeiter in einer Möbelfabrik. Ich hatte grosses Glück, er unterstützte mich sehr. Ich erinnere mich, wie er mich in den ersten Klassen auf seinen Schultern zur Schule trug. Später lernte ich manchmal bis spät in die Nacht. Dann sass er bei mir, auch wenn er sich vor Müdigkeit kaum wachhalten konnte. Das war seine Art, mich zu fördern. Er hat mir früh vermittelt: Mit Bildung kannst du weit kommen.

 

Was haben Sie in den ersten Wochen Ihrer Tätigkeit noch unternommen?

Eine meiner Hauptaufgaben ist es ja, Verbindungen zu schaffen. Beispielsweise informiere ich Hotel-Manager über unsere Ausbildung und frage, welche Qualifikationen sie erwarten. Ich habe der Vizeministerin im Ministerium für Frauen und Jugend unsere Ausbildung vorgestellt. Sie hat uns darauf sogar besucht. Denn ich weiss, dass in  den Ministerien überall Kitas entstehen sollen. Eine Chance für  unsere Absolventinnen, denn viele wollen in die Kinderbetreuung. Daneben baue ich eine Datenbank auf, in denen wir nach und nach alle Absolventinnen, die das wollen, erfassen, um ein Alumni-Netzwerk aufzubauen. Gleichzeitig können wir damit die Nachhaltigkeit des Ausbildungsprojektes kontrollieren.

 

Sie erwähnten vorhin die 20-jährige Abgängerin mit dem eineinhalbjährigen Kind. Wie können solche alleinerziehenden Mütter denn einen Job annehmen?

Unsere Ausbildung befähigt die Frauen, auch selbständig zu werden. Etwa einen kleinen Strassenimbiss zu betreiben. Oder Injerra, das tägliche Fladenbrot, zu backen und in der Nachbarschaft zu verkaufen – das ist die Geschäftsidee von vielen alleinerziehenden Müttern.

 

Aber für Mehl und Brennholz braucht es doch Startkapital?

Deshalb war ich bereits bei der Mikrokredit-Behörde der Stadtverwaltung. Deren Mitarbeiter haben darauf unseren Kurs besucht und die Frauen über die Möglichkeiten eines Mikrokredits informiert.

 

Hört sich gut an. Aber wie erfolgreich ist die Ausbildung tatsächlich?

Ich habe 76 Abgängerinnen der vergangenen Jahre nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und um Beantwortung eines Fragebogens gebeten. Das Hauptergebnis: 87 Prozent von ihnen arbeiteten und hatten ein relativ gutes Einkommen.

 

Und was machen die Frauen?

Elf Prozent von ihnen sind selbständig. 30 Prozent der Frauen arbeiten für öffentliche Arbeitgeber, ein Viertel in privaten Unternehmen, zum Beispiel in Kitas oder Kantinen. Ein weiteres Viertel arbeitet in Hotels und Restaurants. Fünf Prozent arbeiten als Haushälterinnen in wohlhabenden Privathaushalten. Sie alle haben die Armut hinter sich gelassen.


Mit 270 Franken kann eine Frau unsere Hauswirtschaftsausbildung absolvieren. Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung!

CHF