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„In der Corona-Krise ist das Leben so schlimm wie nie zuvor“

Addis Abeba, die Hauptstadt Äthiopiens in der Corona-Krise: Vom Staat können die ärmsten Familien keine Hilfspakete erwarten. Birkie Tola, 34, ist eine der alleinerziehenden Mütter ganz unten. Hier erzählt sie ihre Geschichte.

Birkie Tola mit Nothilfepaket

Mit dem Lebensmittelpaket ist die Ernährung für einen Monat gesichert.

Betteln ist schrecklich. Ich werde mich nie daran gewöhnen. Die Scham, die Abweisung. Manche Menschen beschimpfen mich, drohen mir sogar Schläge an. Und doch wäre ich jetzt froh, wenn ich betteln könnte. Aber seit es Corona gibt, ist mir dieser Ausweg, an Geld zu kommen, verwehrt.

Beim Kirchgang sind die Menschen freigebiger als sonst, ich bin immer zur St. Yohannes-Kirche gegangen, um die Gläubigen anzusprechen. Aber jetzt sind die Kirchen geschlossen. Ich gehe von Haus zu Haus, frage nach einem kleinen Geldbetrag. Manche Bewohner werden wütend und beleidigen mich. Einige wenige geben etwas, aber mit dem Hinweis, dass ich nicht mehr kommen soll in dieser Corona-Zeit.

Manchmal überfällt mich der Gedanke, dass es besser wäre, tot zu sein. Aber das kann ich nicht machen, denn ich habe ja meine Mädchen. Tigist ist neun Monate, Zeritu ist drei Jahre alt und Sifani neun. Oft mache ich mir selbst Vorwürfe und verfluche mich. Aber wahrscheinlich wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin, wenn meine Eltern nicht gestorben wären, als ich noch ein kleines Kind war.

An meinen Vater kann ich mich nicht erinnern. Meine Mutter starb, als ich etwa fünf Jahre alt war. Eine Familie aus dem Dorf nahm mich auf. Ich war nie in einer Schule. Ich musste das Vieh hüten und half im Haushalt und auf dem Feld. Liebe habe ich in meiner Kindheit nie erfahren.

Ich war schon über zwanzig, als alles besser wurde. Alemu warb um mich, er wurde mein erster Mann. Natürlich wollte ich ihn! Alemu war ein wundervoller Mann. Geduldig, verständnisvoll, fürsorglich. Er verdoppelte seine Zuneigung noch, als ich schwanger wurde. Ich dachte: Gott will mich für meine schlimme Kindheit entschädigen.

Doch dann, nach einem Marktbesuch, musste er einen Fluss überqueren. Normalerweise ist er nicht tief, aber es hatte heftig geregnet und er unterschätzte die Strömung. Er wurde vom Wasser mitgerissen und ertrank. Es war furchtbar, ich bekam ein Kind, war allein, ohne jedes Einkommen. Kurz nach der Geburt entschloss ich mich, meine Tochter bei der Familie meines Mannes zurückzulassen und in die Stadt zu gehen, um dort Geld zu verdienen.

In Addis Abeba bekam ich eine Stelle als Hausmädchen. Aber nach einigen Jahren wurde ich krank und der Hausherr entliess mich. Das war die Zeit, als ich Getachew kennenlernte. Er sagte, er würde für mich sorgen. Wir heirateten. Aber er war ein Blender. Sein Versprechen hielt er nicht. Er war faul, er arbeitete nicht. Ich verliess ihn. Aber er flehte mich an, im Namen der Heiligen Maria, dass ich ihm noch eine Chance gebe, er würde sich bessern. Nach einigen Jahren wurde ich weich, ich dachte, vielleicht hat er sich geändert. Als ich mit Tigist schwanger war, erzählte mir einer seiner Freunde, dass Getachew HIV-positiv ist und deswegen Medikamente nimmt. Ich konnte es nicht glauben! Ich zwang ihn zu einem Test und machte selbst einen. Es stellte sich heraus, dass er tatsächlich positiv ist. Mein Test war negativ. Ich habe mich endgültig von ihm getrennt. Genug ist genug.

Birkie Tela bei der Corona Nothilfe-Verteilung

Birkie Tela erhält das erste Lebensmittelpaket für sich und ihre Kinder.

Als ich mit Getachew zusammen war, hatten wir kein Geld für die Miete. Wir mussten auf der Strasse leben, bauten uns mit Plastikplanen einen Unterschlupf. Ich versuchte mich im Kleinhandel mit Gemüse, aber ich war nicht erfolgreich. Ich machte zu wenig Profit. Auch, weil ich das Gemüse nicht lagern konnte. Also begann ich zu betteln. Obwohl es eine Qual ist. Aber es war die einzige Möglichkeit, an Geld zu kommen. Und inzwischen musste ich mich um drei Kinder kümmern – die Familie meines Mannes wollte nicht mehr für Sifani, meine Erstgeborene, sorgen. Sie sind selbst sehr arm. Also holte ich sie zu mir in die Stadt.

Seit der Corona-Krise ist das Leben so unerträglich wie noch nie. Die Polizisten sind schlimm. Wenn ich auf der Piassa, dem grossen Platz im Stadtzentrum, zu betteln versuche, vertreiben sie mich. Ohne Lebensmittel von Menschen für Menschen würden meine Kinder hungern. Ich hoffe, dass mit der Hilfe Gottes die Corona-Zeit bald vorbei ist. Dass ich eine Arbeit finde. Mein Traum ist es, dass meine Kinder in die Schule gehen und sie sich ein besseres Leben schaffen. Sie sollen gute Bürger Äthiopiens werden. Das hoffe ich sehr.

Birkie Tola nimmt mit ihrer Tochter Tigist (9 Monate) am Ernährungsprogramm von Menschen für Menschen teil, dort erhalten unterernährte Kleinkinder und ihre Mütter kräftigende Zusatznahrung. Die Mütter werden in Hygiene und gesunder Ernährung geschult. Seit dem Beginn der Corona-Krise haben wir das Programm ausgedehnt. Rund 150 Familien bekommen monatliche Überlebenspakete, unter anderem mit Mehl, Teigwaren, Speiseöl und Famix – eine proteinreiche Spezialnahrung für unterernährte Kleinkinder. Ein Paket pro Familie und Monat kostet umgerechnet 35 Franken.

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