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Interview mit Fachfrau: So funktioniert unsere Hilfe

«Wir lachen und weinen mit den Familien»

Wie kommt die Hilfe zu den Kindern? Menschen für Menschen setzt auf die Erfahrung einheimischer Fachleute. Häufig sind sie selbst in grosser Armut aufgewachsen. Ein Gespräch mit Mulumebet Gezahegn, 25, die täglich in den Slums unterwegs ist.

Sozialarbeiterin Mulumebet Gezahegn

Fachfrau Mulumebet: «Die Kinder brauchen jemanden, der an sie glaubt.»

Frau Mulumebet Gezahegn, was machen Sie gerade?

Gerade habe ich die zwölfjährige Wasila zur Gesundheitsstation begleitet. Sie ist HIV-positiv und ich sorge dafür, dass sie die richtigen Medikamente bekommt. Wasila wurde schon im Mutterleib mit dem Virus infiziert. Die Mutter starb kurz nach ihrer Geburt an Aids, das Mädchen wächst bei seiner Grossmutter auf. Sie war lange schwach, aber jetzt geht es ihr gut. Sie ist so ein liebes, positives Mädchen! Wasila träumt davon, Ärztin zu werden und anderen Menschen zu helfen.

Wenn man mit jungen Äthiopiern über ihre Zukunftspläne spricht, hört man oft, dass sie nicht nur sich selbst, sondern auch andere voranbringen wollen. Ist das etwas typisch Äthiopisches?

Da ist etwas dran. Ich bin ausgebildete Grundschullehrerin, aber hier bei Menschen für Menschen kann ich als Sozialarbeiterin viel mehr bewegen. Ich komme auch aus sehr bescheidenen Verhältnissen. Wir Mitarbeiter wissen, wie sich Armut anfühlt. Wir kennen die Geheimnisse der Menschen, wir lachen und weinen mit ihnen.

Der Anspruch ist es, den allerärmsten Familien zu helfen. Schaffen Sie das?

Ja, wir erreichen wirklich die Kinder, die Hilfe am dringendsten brauchen.

Was macht Sie so sicher?

Die Auswahl erfolgt nach genau definierten Kriterien. Ist das Kind unterernährt? Ist die Mutter alleinerziehend? Muss das Kind arbeiten, statt in die Schule zu gehen? Wir beziehen die lokalen Behörden und Nachbarschaftsgruppen ein, um die ärmsten Familien zu identifizieren. Natürlich sehen wir auch durch unsere eigene Erfahrung, wer wirklich am bedürftigsten ist.

Mit europäischer Brille betrachtet sind die meisten Kinder bedürftig.

Auch in der Armut gibt es grosse Abstufungen. Wir sind für die Familien da, denen das Geld für die nächste Mahlzeit fehlt. Wo Kinder nicht zur Schule gehen, weil die Eltern keine Stifte und Hefte kaufen können. Wo Kinder an eigentlich leicht heilbaren Krankheiten wie Krätze leiden.

Das heisst: Nahrungsmittel, Schulbedarf und Medizin ausgeben – und die Probleme sind gelöst?

So einfach ist es nicht. Neben den materiellen Hilfen braucht es auch eine Begleitung durch uns. Deshalb sind wir täglich in den Slums, gehen von Haus zu Haus. An einem durchschnittlichen Tag bin ich bei acht Familien zu Besuch.

Warum ist diese Betreuung so wichtig?

Die Kinder sehen, dass ihre Kleidung schmutzig und zerrissen ist. Die Gesellschaft gibt ihnen zu verstehen: Deine Familie hat nichts, also bist du auch nichts. Deshalb haben sie kein Selbstbewusstsein, keine Hoffnung und keinen Glauben, dass sie etwas aus sich machen können.

Was können Sie tun?

Die Kinder brauchen Menschen, die an sie glauben und sie fördern. Eine ganz wichtige Komponente unserer Arbeit ist das nachmittägliche «Life Skill Training».

ozialarbeiterin im Gespräch mit Mädchen

Sozialarbeiterin Mulumebet auf Hausbesuch: «Die Kinder können die Armut durch Lernen hinter sich lassen.»

Was genau lernen die Kinder dort?

Es ist ein kindgerechter Grundkurs in Psychologie und Lebenshilfe. Wie macht man sich sein Verhalten bewusst und wie verbessert man es? Wie lernt man effizient? Was sind die Grundregeln der Kommunikation, wie fällt man Entscheidungen? Wir machen den Kindern klar: Ihr seid genauso viel wert wie die besser gestellten Kameraden in der Klasse! Und ihr könnt die Armut durch Selbstdisziplin und Lernen hinter euch lassen.

Können Sie allen Kindern helfen?

Nein. Es gibt Einzelfälle, gerade Teenager, die unsere Angebote nicht annehmen wollen. Wir setzen unsere Kraft in die Kinder, die Unterstützung wollen und sind damit erfolgreich.

Können Sie diese Behauptung untermauern?

Wir dokumentieren die Schulnoten der geförderten 1000 Kinder. Im statistischen Mittel haben sie sich ein- Fachfrau Mulumebet: «Die Kinder brauchen jemanden, der an sie glaubt.» drücklich verbessert. Vor allem aber konnten wir nach drei Jahren rund die Hälfte der Kinder aus dem Projekt entlassen.

Warum das?

Einfach, weil sie nicht mehr zu den Ärmsten gehören. Zu meinen Aufgaben gehört es auch, die Eltern in Selbsthilfegruppen zu organisieren und dort zu unterrichten. In den Gruppen können sie Mikrokredite erhalten, um ein kleines Gewerbe zu beginnen und Einkommen zu schaffen. Diese Massnahme läuft so gut, dass sich die Familien künftig selbst versorgen können.

Aber klagen die Eltern nicht, wenn Sie ihnen sagen, sie würden nicht mehr gefördert?

Nein, die meisten sind stolz. Wir sagen ja gleich am Anfang: Diese Unterstützung ist nur für eine Weile, bis ihr es alleine schafft. Dann kommt die Förderung anderen besonders armen Kindern zu Gute – Anfang des Jahres haben wir rund 500 Kinder neu ins Projekt aufgenommen.

Bleibt zu hoffen, dass die Eltern nicht wieder in die Armut zurückfallen, ohne Ihre Betreuung …

Unsere Begleitung ist stets darauf ausgelegt, die Eltern auf ein selbstständiges Leben vorzubereiten. Die Selbsthilfegruppen bestehen unabhängig von uns fort. Wir sorgen dafür, dass sich mehrere Gruppen zu staatlich anerkannten Kooperativen zusammenschliessen. Die fähigsten Mitglieder werden in Leitungsfunktionen gewählt. Dank der Ausbildung bei uns können die Gruppen aus den Kreditrückzahlungen weitere Mikrokredite vergeben und sich selbständig weiterentwickeln.

Man kann also sagen, diese Selbsthilfegruppen sind entscheidend für den Erfolg?

Alle Massnahmen sind wichtig. Aber es stimmt: Nahrungsmittel helfen nur kurzfristig. Langfristig entfaltet sich die Wirkung unserer Arbeit durch die psychologische Begleitung der Kinder und die wirtschaftliche Förderung der Eltern. Unsere Erfolge zeigen, dass wir damit auf dem richtigen Weg sind.


Unser Kinderprojekt in Debre Berhan

Die ärmsten Kinder sind in der Schule häufig auch die leistungsschwächsten – weil sie Hunger haben, weil sie oft krank sind, weil ihre Eltern sie nicht fördern können. In der Stadt Debre Berhan helfen wir 1000 dieser ärmsten Kinder und ihren Familien. Rückgrat unseres Projekts sind acht Sozialarbeiterinnen. Sie besuchen die Familien in ihren Hütten, unterrichten Kinder und Eltern, dokumentieren die Fortschritte. Mit grossem Erfolg: Nach drei Jahren konnte die Hälfte der Kinder aus der Förderung entlassen werden.

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