Die Stiftung Menschen für Menschen Schweiz macht es sich zur Aufgabe, auf dem Land wie in den Städten Verelend- ung aufzuhalten und Lebenschancen aufzubauen.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie Sie die Menschen in Äthiopien unterstützen können. Hier finden Sie alle Spendenmöglichkeiten mit konkreten Beispielen.
Wiege der Menschheit, Herkunftsland des Kaffees, reiche Kultur und arme Familien. Über 100 Millionen Menschen leben hier: Auf Besuch in einem widersprüchlichen Land.
Als Dreijährige kam Hanna Mirkena in das Abebech Gobena-Kinderheim in Addis Abeba. Ihre Eltern waren an Aids gestorben. Die 16-Jährige ist selbst HIV-positiv. Von Diskriminierung und Ängsten lässt sie sich nicht entmutigen. „Ich werde es schaffen“, sagt Hanna. Das NAGAYA MAGAZIN zeichnet das Porträt des bewundernswerten Mädchens.
Über dem Bett von Hanna Mirkena hängt ein Poster des Heiligen Georg, dem Nationalheiligen von Äthiopien. Darauf kämpft Georg gegen einen Drachen, um eine Königstochter aus den Fängen des Untiers zu befreien. Das Gute gewinnt über das Böse, das ist die Botschaft des Posters. Hanna schaut es immer vor dem Einschlafen an. Der Drachentöter spendet Zuversicht.
Wenn man die 16-Jährige inmitten der anderen Waisen sieht, ahnt man nichts von den Kämpfen, die sie in ihrem Inneren ausficht. Hanna füttert die Jüngeren lachend, scherzt und spielt mit ihnen. Am liebsten studiert sie mit ihnen Tänze ein. Traditionelle äthiopische, aber noch lieber die modernen Stile der Musikclips, wie die Kinder sie aus dem Fernsehen kennen. Hanna träumt von einer Karriere als Choreografin an einem der wenigen Theater in Äthiopien. Lächelnd erzählt sie von ihrem Traum.
Mit 37 weiteren Kindern und Jugendlichen lebt Hanna im Abebech-Gobena-Kinderheim von Agohelma, der Partnerorganisation von Menschen für Menschen Schweiz. Manche der Eltern sind an Aids gestorben. Manchmal sind die Mütter noch am Leben, aber sie können aufgrund eines psychischen Leidens nicht für ihre Kinder sorgen. Viele der kleinen Heimbewohner sind Findelkinder. Sie wurden als Säuglinge oder Kleinkinder von ihren Müttern an einem belebten Platz zurückgelassen.
Hannas Eltern starben beide an Aids. Ihre halbwüchsigen Geschwister konnten sich nicht um sie kümmern. So kam sie im Alter von drei Jahren in das Heim in Addis Abeba. Die Heimleitung versucht, für die Kinder zunächst Adoptiveltern zu finden. Je jünger sie sind, desto grösser sind ihre Chancen, dass sie adoptiert werden. Etwa 120 ehemalige Heimkinder wurden so bereits an äthiopische und europäische Paare vermittelt. Doch weil Hanna HIV-positiv ist, hatte sie keine Chance.
„Wir geben den Kindern Fürsorge und Liebe“, sagt Wenschet Damtew, 42, Sozialarbeiterin und Leiterin der Kinderprogramme bei Agohelma. „Sie leben in Gruppen mit festen Betreuerinnen, die Tag und Nacht für sie da sind. Doch es ist besser, wenn Kinder in einer Familie aufwachsen.“ Das Heim sei ein beschützter Ort, doch er spiegle die Lebenswirklichkeit in Äthiopien nicht wider. „Soziales Verhalten und gesellschaftliche Normen lernen die Kinder besser in Familien in den Stadtvierteln. Dort werden sie trotz unserer guter Betreuungs- und Lernangebote im Heim tendenziell lebenstüchtiger“, erklärt Wenschet Damtew. Deshalb versuche die Organisation, zunächst leibliche Verwandte der Waisen ausfindig zu machen und sie bei ihnen unterzubringen. Gelingt dies nicht, fragen die Sozialarbeiter von Agohelma gut beleumundete Ehepaare aus den benachbarten Vierteln, ob sie ein Kind in Pflege nehmen würden. Verwandte wie auch Pflegeeltern bekommen dafür eine kleine finanzielle Unterstützung. „Aber das ist so wenig, dass niemand des Geldes wegen ein Kind zur Pflege nimmt“, erklärt Wenschet Damtew. Die Motive seien altruistisch: „Es ist Teil der äthiopischen Kultur, aus christlicher Überzeugung heraus anderen zu helfen.“
Auch Hanna sollte vor drei Jahren das Heim verlassen. Zwei ihrer mittlerweile erwachsenen Schwestern waren bereit, sie in ihrem Haus aufzunehmen. Wie immer, wenn ein Kind das Heim verlässt, gab es Tränen, bei Hanna und den anderen Kindern. Doch Hanna freute sich auch auf die neue Zeit: Endlich sollte sie „draussen“ ein ganz alltägliches Leben beginnen.
Doch leider ist die Wirklichkeit keine Drachentöter-Legende, in der sich das Glück mit einer Lanze erzwingen lässt. Und in Wahrheit sind die Menschen nicht nur gut. Sie können auch böse sein, vor allem, wenn sie Angst haben: Die älteren Schwestern, die zugestimmt hatten, Hanna aufzunehmen, begannen, sie wie eine Aussätzige zu behandeln. Hanna durfte nicht gemeinsam mit ihnen essen. Sie musste in einem eigenen Zimmer schlafen. Die Schwestern vermieden jede Berührung. Es gab keine Schimpfworte, doch zeigten die Schwestern ständig, wie zuwider ihnen die körperliche Nähe des HIV-infizierten Mädchens war. Da borgte sich Hanna das Mobiltelefon eines Nachbarn und rief weinend Sozialarbeiterin Wenschet an. Diese kam und holte das Mädchen zurück ins Heim.
Heute, drei Jahre danach, wischt sich Hanna Tränen aus den Augen, wenn sie von der schmerzvollen Erfahrung erzählt. „Immer noch wissen die Menschen zu wenig über HIV“, sagt sie. „Sie diskriminieren uns aus Angst und Unwissen.“ Hanna engagiert sich deshalb im Anti-Aids-Club in der Schule, wo sie mit Tanz und Theater Gleichaltrige über Ansteckungswege aufklärt – und dass ein familiäres Zusammenleben für niemanden eine Gefahr bedeutet.
Bis zu ihrer Volljährigkeit kann Hanna im Heim bleiben, sagt Sozialarbeiterin Wenschet. Dann muss sie es verlassen. „Ich gebe zu, ich habe Angst“, sagt Hanna. „Nämlich davor, die Sicherheit und die Beziehungen zu den anderen hier zu verlieren. Und dass die Welt da draussen keinen Platz für mich hat.“
„Es wird alles gut werden“, beruhigt sie Sozialarbeiterin Wenschet. „Wir helfen ja allen ehemaligen Heimkindern, eine Wohnung zu finden. Solange sie eine Ausbildung machen oder studieren, unterstützen wir sie finanziell.“ Hanna weiss, dass ihr Traum Choreografin zu werden, nicht sehr realistisch ist. „Deshalb werde ich fleissig lernen und versuchen einen Studienplatz als Bauingenieurin zu bekommen.“ Dass das eine traditionelle Männerdomäne ist, stört das zierliche Mädchen nicht. „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, sagt sie und lächelt. „Ich werde es schon schaffen“.
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