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Flut und Klimawandel: Zukunft pflanzen

DAS PROBLEM: Die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen

September 2020

Bodenerosion in Fogera

In der Regenzeit reisst das Wasser Gullys in Äcker und Weiden

Regenzeit im Bezirk Fogera im Nordwesten Äthiopiens: Dicke Tropfen trommeln in rasendem Stakkato auf das Land. Teils fallen 125 Liter Niederschlag pro Tag und Quadratmeter. Die Kraft des Wassers ist gewaltig. Es reisst tiefe Gräben in die Hänge, überflutet die Täler. Menschen für Menschen sorgt mit Nothilfe dafür, dass die Flutopfer in ihrer Heimat bleiben können. Und mit dem Pflanzen von Bäumen kämpft die Äthiopienhilfe langfristig gegen Klimawandel und Naturkatastrophen.

Die Wassermassen strömen zu Tal, reissen Boden mit sich, fräsen im abschüssigen Gelände Gräben in die Äcker. Diese sogenannten «Gullys» sind klaffende Wunden in der Landschaft. Bei jedem Wolkenbruch werden sie grösser. Viele sind über fünf Meter breit und mehrere hundert Meter lang.

Im Dorf Mintura lebt Zigale Mulat mit seiner Frau Tiruye und drei kleinen Buben, als Kleinbauer in hügeligem Terrain. Ein Gully durchzieht sein Feld. «Der Graben frisst sich in jeder Regenzeit weiter in mein Land», sagt Zigale. «Ich habe immer weniger Ackerfläche. Und in drei oder vier Jahren wird sich der Gully bis an mein Haus herangearbeitet haben. Was soll dann werden? Die Sorgen machen mich fertig.»

 

Hochwasser in Fogera

Die Menschen fürchteten, ihre Heimat verlassen zu müssen.

Flut in der Tal-Ebene

Weiter unten im Tal hingegen, in der Ebene vor dem Tana-See, stauen sich die Wassermassen bei extremem Regen, sie überfluten Lehmhäuser und Felder. 880 Bauernfamilien in den Dörfern Kidist Hana and Wagetera erleiden deshalb im September 2020 einen Ernteverlust von 100 Prozent. Das Wasser hat auch das Reisfeld von Birhanu Assefa, 38, vernichtet. Er ist Vater einer Tochter und von vier Knaben. «Für meine Familie ist das eine Frage von Leben und Tod», sagt Birhanu. «Was sollen wir jetzt essen?»

Die Katastrophe ist menschengemacht. Einerseits haben die Bauern aus Armut und Not in den vergangenen Jahrzehnten die Wälder eingeschlagen, für Brenn- und Bauholz und um Ackerland zu gewinnen für die wachsende Bevölkerung – also schiessen jetzt die Niederschläge ungebremst von Blattwerk und Baumwurzeln in die Täler. Andererseits haben die Menschen in den wohlhabenden Ländern mit ihrem Verbrauch an fossilen Rohstoffen den CO2-Ausstoss vervielfacht und den globalen Klimawandel angeheizt. Auch deshalb verändert sich die Regenzeit: Die Wolkenbrüche werden unberechenbarer, heftiger – und existenziell bedrohend für die armen Bauern in Äthiopien.

DIE LÖSUNG KURZFRISTIG: Nothilfe für Flutopfer

April 2021

Bauern bei der Ernte von Teff

«Dank der Nothilfe konnten wir bleiben», sagt Birhanu Assefa

Sechs Monate nach der verheerenden Flut: In der Fogera-Ebene herrscht wider Erwarten der Menschen kein Hunger. stattdessen geschäftiges Treiben. Berhanu hat das Vieh von Nachbarn ausgeliehen, jetzt lässt er es auf dem Dreschplatz im Kreis gehen. Auch die Familienmitglieder helfen. Sie gehen mit nackten Füssen stunden- und tagelang über die Halmbündel auf dem festgestampften Lehmboden. Durch den Druck von Fusssohlen und Hufen trennen sich die Körner von Stroh und Spreu.

Was war geschehen? Die Flutopfer baten in ihrer existenziellen Not Menschen für Menschen um Hilfe. Gemäss Karlheinz Böhms Prinzip der «Hilfe zur Selbstentwicklung» entschied sich die Stiftung, keine Lebensmittelspenden auszugeben. Stattdessen vereinbarte die Äthiopienhilfe mit den lokalen Behörden und den Kleinbauern, leistungsfähiges Teff-Saatgut bereitzustellen. Ausserhalb Äthiopiens ist Teff recht unbekannt, aber für die Äthiopier ist es das begehrteste aller Getreide. Das Fladenbrot Injerra wird daraus gebacken, die Grundlage der einheimischen Küche. Auf den Märkten in Fogera ist Teff fast doppelt so teuer wie Weizen und dreimal so teuer wie Mais. Die Körner sind winzig wie Mohnsamen, dreitausend Teff-Körner wiegen gerade mal ein Gramm. In regenfeuchter Erde braucht Teff nur 36 Stunden zum Keimen – so schnell keimt kein anderes Getreide: Durch die Abgabe des Teff-Saatguts bekamen die Bauern nach Sinken des Hochwassers doch noch die Chance, in der kurzen Saison zu säen und zu ernten.

Jede Flutopfer-Familie erhielt sechs Kilogramm Teff und Dünger. Die Menge reicht zum Bepflanzen von 2500 Quadratmeter. Die Bauern ernteten darauf zwischen 250 und 650 Kilogramm Teff, je nach Lage und Bodengüte.

Birhanu Assefa kann nach dem Dreschen Säcke füllen, die zusammen 350 Kilogramm wiegen. Auf den lokalen Märkten kann er diese Menge und das Stroh als Nebenprodukt für rund 14´000 Birr verkaufen, das sind fast 300 Franken – der Jahresverdienst eines Tagelöhners. Für Saatgut und Dünger hat Menschen für Menschen lediglich 30 Franken pro Familie eingesetzt. Man kann sagen: Die Aktion bringt zehnfache Frucht.

«Ohne diese Hilfe hätte es schlimm ausgesehen. Vielleicht hätten wir die Heimat aufgeben und in die Stadt ziehen müssen. Vielleicht wären wir vor Nahrungsmangel und Schwäche krank geworden», sagt Birhanu Assefa. Nun könne er mit dem Erlös aus dem Verkauf des Teffs billigeres Getreide wie Mais und weitere Grundnahrungsmittel kaufen, neben Kleidern und Schulbedarf für die Kinder. «Wir können auf unserem Hof bleiben. Wir haben neue Hoffnung geschöpft.»

DIE LÖSUNG LANGFRISTIG: Bäume schützen Natur und Mensch

WARUM WIR HELFEN

Aus Not haben die Menschen im Bezirk Fogera die Wälder abgeholzt. Der globale Klimawandel verstärkt die Niederschläge. Die Folgen sind Bodenerosion und Hochwasser – und damit auch Mangel und Hunger.

WAS WIR TUN

  • Nothilfe für Flutopfer: Saatgut für 880 Familien
  • Aufforstung: Pflanzung von einer Million Bäume innerhalb von drei Jahren
  • Schulungen für Kleinbauern: Wie bebaut man sein Land im Klimawandel?
  • Abgabe von Vieh und Saatgut auf Basis fairer Kredite

August 2021

Bau von Erosionsbefestigungen

Die Bauern arbeiten zusammen, um die Abschwemmung von Boden zu stoppen.

Doch in jeder Regenzeit droht eine neue Flut in der Ebene – und weitere Abschwemmung von Mutterboden talaufwärts. Deshalb geht Menschen für Menschen zusammen mit den Einheimischen an die Wurzel des Problems: Zigale und 76 weitere Bauern aus seinem Dorf haben viele Tage lang Steine den Gully hinaufgeschleppt, der ihr Ackerland bedroht. Mit den Steinen füllen sie Körbe aus stabilem Drahtgeflecht. «Wir schichten die Körbe zu Quermauern auf», erklärt Zigale. Diese Bollwerke gegen das Wasser allein reichen aber nicht aus: Im August 2021 bepflanzen die Bauern den Graben dicht mit Bäumen. Deren Wurzelgeflecht soll den Boden festhalten und die Erosion stoppen. Insgesamt forstet die Äthiopienhilfe so 16 Gullys in Fogera auf. «Alleine hätten wir das nie geschafft», sagt Bauer Zigale.

«Wir dachten, wir seien der Katastrophe hilflos ausgeliefert.» Es habe einfach an Kapital und Wissen vor Ort und am Glauben an einen Erfolg gefehlt. «Aber jetzt herrscht Einigkeit und Zuversicht», sagt Zigale: «Die Gullys werden gesperrt. Niemand darf sein Vieh hineinlassen.» Die Bäumchen sollen nicht von Ziegen verbissen werden. Nach wenigen Jahren ist der Graben ein grünes Band in der Landschaft, das für eine Verbesserung des Klimas und des Wasserhaushalts der Landschaft sorgt.

Bauer pflanz einen Baum

Wir pflanzen eine Million Bäume

Etwa ein Drittel der Bäume, die Menschen für Menschen in einer eigenen Pflanzschule heranzieht, werden gemeinschaftlich an Hängen und Gullys gepflanzt, ein weiteres Drittel rund um Schulen, öffentlichen Gebäuden und Dorfplätzen. Das letzte Drittel geht direkt an die Bauern. Sie pflanzen die Setzlinge als Erosionsschutz entlang Feldrainen oder als Schattenbäume um ihre Höfe.

Besonders freuen sich viele Bauern über die Mango-Setzlinge. Es gibt in Fogera keinen Winter, der die Wachstumsperiode der Bäume unterbricht. «Schon in vier Jahren werden wir die ersten Mangos ernten», sagt Enanu Bayley, 50, die im vergangenen Jahr 133 Waldbäumchen und 20 Mango- Setzlinge erhielt. «Wir werden die Früchte auf dem Markt verkaufen. Das zusätzliche Einkommen wird gerade im Juli und August wichtig für uns: Denn dann ist Regenzeit und wir warten auf die Ernte. Da haben wir immer Geldmangel und können nicht ausreichend essen.»

Glückliche Bauernfamilie

«Ich darf wieder zuversichtlich sein.» Zigale Mulat mit Familie

Vor allem aber soll dem Nahrungsmangel auch das Kleinvieh-Programm von Menschen für Menschen abhelfen: Auf Basis eines fairen Mikrokredits hat die Familie Ziegen und Schafe erhalten. Der erste Nutzen daraus kann bereits nach wenigen Monaten erwartet werden, wenn Kitze und Lämmer der Muttertiere verkauft werden können.

Und Bauer Zigale freut sich über leistungsstarkes Kartoffelsaatgut, das er von der Äthiopienhilfe zusammen mit einer Schulung zum Anbau bekommen hat. Kartoffeln versprechen einen hohen Ertrag auf geringer Fläche. «Ich verliere kein Ackerland mehr, weil der Graben in seinem Wachstum gestoppt ist, und ich bekomme Einkommen durch die Kartoffeln», sagt Zigale. Unberechenbaren Wolkenbrüchen und Klimawandel zum Trotz: «Ich darf wieder zuversichtlich sein.».

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