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Ethiopian Airlines ist der Stolz Äthiopiens

Beim Absturz der Ethiopian Airlines Maschine ET 302 im März 2019 kamen 157 Menschen ums Leben. Nach dem Unglück stand die äthiopische Fluglinie im Fokus der Weltöffentlichkeit. Vorher hatte sie sich weitgehend unbeachtet zur grössten Fluglinie Afrikas entwickelt. Es ist der Traum vieler jungen Äthiopier, für «Ethiopian Airlines» zu arbeiten.

Ethiopian Airlines Flugzeug

Provinzflughafen in Awassa: Mit Turboprop-Maschinen bedient Ethiopian Airlines die Winkel des riesigen Landes.

Der Flughafen von Addis Abeba gehört zu den multikulturellsten Orten der Welt. Sudanesen in hemdartigen Gewändern, chinesische Arbeiter und Techniker, westliche Touristen in Outdoor-Kleidung, verschleierte Frauen mit hennabemalten Handrücken, äthiopische Familien der kleinen Elite im Land, Geschäftsleute aus aller Herren Länder: Zu Tausenden wuseln die Menschen durcheinander. Und dazwischen, in dunkelgrünen Uniformen, die Mitarbeiter von Ethiopian Airlines, immer zurückhaltend, freundlich und würdevoll in all dem Getriebe. Sie arbeiten für ein Unternehmen, das der Stolz des ganzen Landes ist.

Weitgehend unbemerkt in Europa wurde Ethiopian Airlines zur grössten Fluglinie Afrikas und die Hauptstadt Addis Abeba zum wichtigsten Drehkreuz des Kontinents. Noch 2005 besass Ethiopian Airlines lediglich 26 Flugzeuge. In 14 Jahren hat sich ihre Zahl mehr als vervierfacht, aktuell fliegen 112 Maschinen zu 125 Destinationen, darunter auch nach Genf. Dass die «Ethiopian» in die «Star Alliance» aufgenommen wurde, also auch im Verbund mit Swiss und Lufthansa Passagiere befördert, trug zum Wachstum bei. Die Fluglinie transportiert pro Jahr rund elf Millionen Passagiere, Tendenz steigend. Und während andere afrikanische Fluglinien darben, kauft Ethiopian Airlines Anteile an den schwächelnden Gesellschaften und bringt sie auf Kurs. So stiegen die Äthiopier Mitte 2018 auch bei der winzigen Eritrean Airlines ein – ein Schritt mit grossem Symbolwert nach Jahrzehnten der Feindschaft zwischen den beiden Nachbarn Äthiopien und Eritrea.

Ethiopian Airlines-Flugzeug

112 Maschinen hat Ethiopian Airlines – 59 weitere sind bestellt.

Doch am 10. März 2019 schockte die Nachricht vom Absturz einer Ethiopian-Maschine vom Typ Boeing 737 Max 8 das ganze Land. Sechs Minuten nach dem Take-off in Addis Abeba stürzte die ET 302 auf ein Feld. Alle 157 Menschen an Bord kamen ums Leben. Die Art, wie Teile der Weltpresse zunächst darüber berichteten, empörte viele Äthiopier. Die Berichterstattung «war symptomatisch für die immer noch verdrehte Wahrnehmung der Welt über alles Afrikanische», urteilte etwa der Blogger Behailu Shiferaw und führte das Wall Street Journal an. Die Zeitung hatte getitelt: «Jet Crash in Afrika tötet 157 Menschen.» Man stelle sich vor, ein Flugzeug in New York stürze ab, argumentiert Shiferaw: «Würden die Zeitungen dann schreiben: Crash in Nordamerika?» Die Überschrift und weitere Berichte hätten alte Vorurteile transportiert, nämlich über ein fehlendes Qualitäts- und Sicherheitsbewusstsein. Doch binnen zweier Tage nach dem Absturz nahmen die Fluggesellschaften weltweit alle Maschinen des Typs Boeing 737 Max 8 ausser Betrieb aufgrund einer vermuteten fehlerhaften Steuerungs-Software – und der amerikanische Flugzeugbauer stürzte in eine tiefe Krise.

Ethiopian Airlines will indes weiterwachsen. 59 zusätzliche Flugzeuge sind bestellt. Erst im Januar 2019 eröffnete ein neuer Terminal am Flughafen in Addis Abeba, mit chinesischem Geld finanziert. Damit verdreifacht das Drehkreuz seine Kapazität auf bis zu 22 Millionen Passagiere pro Jahr und arbeitet sich damit an das Aufkommen grosser Flughäfen in Europa heran. Zum Vergleich: In Zürich wurden im vergangenen Jahr 31 Millionen Passagiere abgefertigt.

Ethiopian Airlines: Stewardessen 1970

Fluglinie mit langer Tradition: Stewardessen von Ethiopian Airlines in den Siebziger Jahren.

Noch ist Ethiopian Airlines eine singuläre Erfolgsgeschichte in der ansonsten weiterhin durch Agrarprodukte wie Kaffee, Ölsaaten und Vieh dominierten Wirtschaft des Landes. Aber auch in der Agrarwirtschaft spielt die Luftfahrt eine grosse Rolle. Immerhin 7 Prozent der Exporterlöse kommen bereits durch die Blumenindustrie ins Land – die Schnittblumen donnern regelmässig mit Cargo-Maschinen nach Europa.

Die Kinder und Teenager in den Projekten von Menschen für Menschen sind noch nie geflogen. Sie sehen vom Erfolg der Airline nichts als die Kondensstreifen am Himmel. Aber wenn man sie nach ihrem Berufswunsch fragt, fallen nicht selten die Antworten «Stewardess!» oder «Pilot!».

Alem Gebrehiwot, ein 16jähriges Mädchen aus den Slums der Stadt Debre Berhan, schaute schon als kleines Kind gerne zum Himmel hinauf. «Von hier unten sehen sie winzig aus, aber meine Mutter erzählte mir immer, sie seien riesengross. Das machte mich neugierig, ich wollte dann unbedingt Pilotin werden.»

Stattdessen musste Alem mit zwölf Jahren die Schule abbrechen: Ihre Mutter war schwer erkrankt und bettlägerig. In einem Land ohne Sozialfürsorge war es an Alem, für ein Einkommen zu sorgen. Sie hat grosse Hände und muskulöse Unterarme wie viele Menschen, die von Kindesbeinen schwer arbeiten: Alem backte gegen Bezahlung das traditionelle Brot Injerra, eine anstrengende Arbeit an den offenen Feuerstellen im Slum.

Schülerin Alem will Pilotin werden

Alem will Pilotin werden. Dank Menschen für Menschen hat das Mädchen eine Chance, in die Schule zu gehen.

Menschen für Menschen nahm das Mädchen 2016 in sein Projekt für die 1000 ärmsten Kinder der Stadt auf und half mit Lebensmitteln, Schul- und Haushaltsbedarf. Alem konnte die Schule wieder aufnehmen. Als die Mutter sich von ihrer Krankheit erholt hatte, bekam sie einen Mikrokredit von der Schweizer Stiftung, sie backt und verkauft jetzt fünfzig Injerra-Brote am Tag, der Verdienst reicht für ein bescheidenes Leben – und dafür, dass Alem sich auf die Schule konzentrieren kann: «Alle Entwicklung führt über Bildung», war das Credo von Karlheinz Böhm, dem Gründer von Menschen für Menschen.

Völlig unwahrscheinlich ist es nicht, dass Alem ihren Traum erreicht: Ethiopian Airlines ist mit 16’000 Mitarbeitern einer der ganz grossen Arbeitgeber Äthiopiens. Die unternehmenseigene Akademie hat ihre Kapazität gerade auf 4000 Plätze ausgeweitet. Um dort aufgenommen zu werden, zählt Leistung. Seit Menschen für Menschen die Slumkinder Debre Berhans unterstützt, haben sich deren Schulnoten massgeblich verbessert, zeigt eine stiftungsinterne Erhebung. Und Ethiopian Airlines fördert junge Frauen ganz ausdrücklich. So beging das Unternehmen den Weltfrauentag am 8. März 2019 mit einem Flug nach Oslo, der von einer komplett weiblichen Crew durchgeführt wurde. «Frauen waren von Anfang an fester Bestandteil unserer Erfolgsgeschichte», kommentierte CEO Tewolde GabreMariam. «Mit diesem Flug ehren und feiern wir ihren unverzichtbaren Beitrag für unser Unternehmen, unser Land und den gesamten Kontinent.»

 

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